Es läuft nicht alles rosig in der Videospiele-Industrie. Viele Träume des großen Durchbruchs zerplatzen. Manchmal sogar schon beim ersten Versuch. Den einen haut ein Publisher übers Ohr. Den nächsten zerreißen die Kritiken der Magazine. Oder das Erstlingswerk verkauft sich schlichtweg nicht wie erhofft. Videospiel-Entwicklung und Vermarktung hat viele Tücken. Dies sind ihre Geschichten. Erzählungen von einzelnen, Personen oder winzigen Studios deren Debütprojekte bereits floppten oder aus anderen Gründen zum Ausstieg der Entwickler führten. Kommt in diesem Artikel mit auf eine Reise nach Sydney und erlebt die Entstehung der Detektivgeschichte L.A. Noire.
Mit beinahe 4.000.000 verkauften Exemplaren war The Getaway einer der größten Hits von Sonys zweiter Playstation. Inspiriert von britischen Gangster Filmen wie Get Carter oder Lock, stock and two smoking barrels, vermutete wohl Keiner, dass seine Ursprünge auf Porsche Challenge zurückgingen. Aber dank dem Erfolg von Reflections‘ Driver Titeln und den neu eingetroffenen Playstation 2 Development Kits, erhielt The Getaway zusätzliche Zu-Fuß-Passagen und vor allem eine Storyline um Banküberfälle, Bandenkriminalität und Polizeikorruption. Als Bizarre Creations dann auch noch Metropolis Street Racer für Sega’s Dreamcast veröffentlichte und mit realistischen Nachbauten von Straßen berühmter Metropolen prahlte, musste Sonys hauseigenes Entwicklungsstudio dagegen halten. Aus diesem Grund erhielt The Getaway ein 50 km² umfassendes Straßennetz Londons. Alles haarklein Nachgebaut, dank durch die Stadt spazierender Fotografen, Modelling-Spezialisten und Textur-Künstlern. Allein an diesem Feature arbeiteten die Grafiker des Sony internen Studios volle zwei Jahre. Ganz zu schweigen von den 30 Schauspielern, die Sony anheuerte und den filmreifen In-Game-Cutscenes. Das Projekt mutierte zu Sony Computer Entertainment Europe’s aufwändigstem und kosten-intensivsten Videospiel. Gleichzeitig definierte es die Identität für das nun Team Soho getaufte Studio.
Ungeachtet dieses Monstrums der Videospiel-Entwicklung, strebte The Getaways Game Director, Brendan McNamara, im Anschluss ein noch gewaltigeres Projekt an. Er sah während der Spiel-Entstehung die Aufnahme eines Forschungsprojektes der Universität von Glasgow. Es ermöglichte deutlich mehr Realismus als die bisherigen Motion Capture Verfahren. Außerdem wollte Brendan ein Spiel erschaffen, in dem es nicht zum obersten Ziel wurde, 200 Menschen an einem Tag zu erschießen. So überzeugte er die Sony Führung, ihn ein handverlesenes Team zusammenstellen zu lassen, während das bisherige Team Soho zusammen mit Psygnosis‘ Camden Studio die Entwicklung des Getaway Nachfolgers Black Monday übernahm.
Brendan wuchs ursprünglich in Australien auf und kam für seinen Job nach Großbritannien. Zwischenzeitlich heiratete er eine Britin und bekam mit ihr zwei Kinder. Er erinnerte sich aber immer gerne an seine eigene Kindheit auf der anderen Seite des Erdballs. Weshalb er aus rein persönlichen Gründen entschied, mit den fünf ersten Aussies Team Sohos, das neue Studio in Australien zu eröffnen. Angelehnt an den alten Studio-Namen und den Sandstrand Sidneys, tauften sie es Team Bondi.
Konzeptionell sollte dieses neue Projekt mehr in die Fußstapfen der alten LucasArts oder Sierra Online Adventures treten, als derer Getaways. Denn Brendan liebte diese Klassiker. Schon Porsche Challenge fand seine Ursprünge in Brendans Lieblingsspiel Chase HQ. Was die Point-and-Click Adventures betraf, begeisterten ihn aber vor allem die vorab generierten Hintergründe und dadurch exzellente Grafik für die damalige Zeit. Weshalb sich das neue Konzept der sechs Australier am ehesten mit Police Quest 3: The Kindred vergleichen lässt. Wobei dessen Plot mehr in die Richtung von Roman Polanskis Chinatown Kinofilm oder James Ellroy’s L.A. Confidental Büchern gehen sollte. Den Privatdetektiv-Gedanken verwarf das Team jedoch relativ schnell, da sich diese meist auf Fälle von Ehebrechern konzentrierten und das wenig aufregenden Stoff bot. Wodurch die Laufbahn eines Polizisten, von der ersten Streife bis zum Morddezernat ihr Aufhänger werden sollte. Für den Austragungsort kamen dem Sextett eigentlich nur zwei Städte in den Sinn: San Francisco oder Los Angeles. Nicht nur wegen der Romanvorlagen, sondern ebenfalls wegen Brendans Faszination eines Los Angeles ohne Freeways, einigten sie sich auf Letzteres.
Ein weiteres Verkaufsargument gegenüber Sony war es gewesen, ihr Werk zu einem Launch-Titel der kommenden Playstation 3 zu machen. In dieser Beziehung wollte Team Bondi die neuen Beleuchtungsmöglichkeiten der Konsole nutzen, um dem Spiel einen Film Noire Charakter zu verleihen. Was ebenfalls die Handlung in eine eher düstere, pessimistische Krimi-Richtung drängte, in welcher der Protagonist selbst zu Fall gebracht und am Ende rehabilitiert werden sollte. Gewissermaßen angelehnt an „Eine Geschichte aus zwei Städten“ (Tale of Two Cities). Innerhalb der ersten anderthalb Jahre entstand dieses Skript lediglich als eine Art Text-Adventure. Die Entwickler kümmerten sich um die Beantwortung von Fragen wie, könnte man an den Punkt zurückgehen, wenn man das fände? Was wäre, wenn er dann mit XY reden würde?
Sie verbrachten unglaublich viel Zeit mit der Recherche alter Mikrofilm-Ausgaben der L.A. Times sowie des Examiners. Die erstaunliche Erkenntnis dabei war ähnlich wie bei Brian De Plamas Scarface. Die wahren Ereignisse erwiesen sich als interessanter, als fiktive Geschichten. Weshalb das Team beschloss, sämtliche Fälle ihres Spiels, auf tatsächlichen Morden, Brandstiftungen, Sexualdelikten und dergleichen aus der L.A. Historie zu basieren. So fanden u.a. der Mord an Krankenschwester Jeanne French, Musikerin Evelyn Winters oder Elizabeth Short, besser bekannt durch den Black Dahlia Spitznamen, ihren Weg ins Spiel. Spätestens an diesem Punkt war auch der Titel des Spiels klar: L.A. Noire.