Flagship musste also neue Experten dafür anheuern und obwohl sie klare Vorstellungen von der Technologie hatten, brauchten sie ebenso einen Beweis dafür, dass ihre Technik funktionierte. Schließlich wäre es extrem ungünstig, all das erst beim Release zu testen und dann mit Kinderkrankheiten zu kämpfen. Deshalb stellte Flagship Ende 2006 ebenso Travis Baldree ein. Travis hatte im Mai 2005 das Diablo-ähnliche Fate programmiert und sollte nun einen Netzwerktest entwickeln. Dieses Testprogramm sollte sich idealerweise auf bekanntem Terrain bewegen. Ein simples aber spaßiges Hack’n’Slash Game, mit der typischen Kameraperspektive und Cartoonartigen Grafiken, um möglichst viele Tester anzuziehen und sich gleichzeitig aufs Gameplay konzentrieren zu können. Es war quasi ein Massivly-Single-Player-Game und Flagship taufte es Mythos. Es gab eine Stadt mit Oberwelt und einem Dungeon darunter, wie in Diablo. Mythos bot zunächst nur drei Charakterklassen. Den typischen Krieger, Bloodletter getauft, weil er zusätzlich aus dem Blut seiner Opfer gruselige kleine Kreaturen erschaffen konnten. Dann den Engineer mit Feuerwaffen und Kampfdrohnen und zuletzt den Pyromancer, der, wie der Name vermuten lässt, mit Feuerzaubern um sich warf. Diese wurden mit drei etwas abgedrehten Völkern kombiniert. Den gehörnten Satyrs, winzigen Gremlins oder gewöhnlichen Menschen. Kontrolliert wurden die Avatare fasst ausschließlich durch die Maus. Mit einem Links-Klick zum Angriff und Rechts-Klick für Spezialfähigkeiten. Es gab das gewohnte Gegenstandkonzept mit zufälligen magischen Eigenschaften, was die Spieler erneut Items farmen lies. Tausende Tester spielten und liebten es.
Mythos Entwickler, Travis Baldree, lebte in Seattle und so nutzte Flagship die Gelegenheit dort im Dezember 2006 ein zweites Studio zu eröffnen, um so schneller neue Mitarbeiter an unterschiedlichen Standorten einstellen zu können. Es gab nun Flagship San Francisco, Flagship Seattle und Ping0 in San Fracisco. Auf diese Weise wuchs die kleine Firma im Verlauf von 2006 von den ursprünglich geplanten 25 Mann auf über 100 Mitarbeiter an.
Die Entwicklung von Hellgate: London selbst schritt 2007 wie geplant voran. Das Spiel umfasste mittlerweile sechs Charakterklassen von drei verschiedenen Fraktionen. Die Templar waren heilige Krieger, geschmückt mit High-Tech Ritterrüstungen. Sie boten den Guadian/Hüter mit einem großen Schild, Schwert und Defensivfähigkeiten oder den Blademaster/Schwertmeister. Einen angriffslustigen beidhändig mit Schwertern bestückten Krieger, der ebenfalls Schusswaffen einsetzen konnte. Die Hunter/Jäger waren ein Mob aus Ex-Special-Forces-Anhängern, Wissenschaftlern und Söldnern. Ihr Marksman/Scharfschütze spezialisierte sich auf Ausweichen, Schusswaffen und Genauigkeit. Wohingegen der Engineer/Ingenieur weniger auf Angriffe setzte und stattdessen auf De-Buff Drohnen und Angriffs-Roboter verwendete. Die Cabal/Kabalisten boten Evoker/Kampfmagier, die Magie in brutale Angriffszauber verwandelten und Conjurer/Beschwörer. welche Elementare beschworen, die an ihrer Seite kämpften. Diese Klassen spiegelten eindeutig Elemente von Diablos Paladinen, Necromancer usw. wieder, was extrem ansprechend für die ehemaligen Diablo-Spieler war, besonders jene, die Beschwörern-Klassen in folgenden Action-Rollenspielen vermissten.
Entgegen seinem Vorvater spielte sich Hellgate jedoch wie ein komplett anderes Spiel, abhängig von der gewählten Charakterklasse. Das war eine der größten Hürden für neue Spieler. Als Nahkämpfer offenbarte sich der Bildschirm direkt hinter dem Avatar, bot den engsten Bezug zu Diablo und spielte sich etwa wie The Witcher, Gothic oder vielleicht Dragon Age Inquisition. Der Spieler begann nicht mit einem Haufen Fertigkeiten, aber durch das Aufrüsten von Ausrüstung kamen schnell Fertigkeiten wie eine Graple-Gun hinzu, die den Nahkämpfer Gegner an sich heran ziehen lies. Als Fernkämpfer sah der Spieler Hellgate aus der Ich-Perspektive mit der Genre-typischen Steuerung und dem entsprechenden Feeling. Bei letzterem entstand eines der größten Probleme von Hellgate: London. Denn die Flagship Crew bestand aus Diablo Entwickler und hatten noch nie einen First-Person-Shooter gemacht. Heute, 15 Jahre später, gibt es allgemeine Grundregeln dafür, wie das eine 360° Drehung mit einem Joypad 1,5 Sekunden dauern muss und nicht 1 oder 3 Sekunden. Aber damals musste Flagship alles selbst erlernen. Weshalb das Abfeuern einer Waffen sich eher wie die Handhabung einer Leuchtpistole oder Feuerwerkkörpern anfühlte. Die meisten Waffen hatten keinen Rückstoß und die Waffen, die doch einen hatten, handhabten ihn den auf die übelste Art überhaupt da. Mit einem schlichten Wackeln-Effekt für die Kamera. Was sich überhaupt nicht kinetisch anfühlte, wie in den späteren Spiele, die Hellgate nacheiferten also beispielsweise Gearboxes Borderlands oder Bungies Destiny. Was Hellgate zu einem relativ schlechten First-Person-Shooter machte. Obwohl Flagship von Anfang an ein Action-RPG mit Shooter-Elementen designen wollte, sahen Fans des Ego-Shooter-Genre natürlich die typische Optik und waren vom Gameplay anschließend enttäuscht. Hellgate war einfach Dialbo in 3D. Es beinhaltete die gewohnten Identifizierungsschriftrollen, Heil- sowie Mana-Tränke, sockelbare Ausrüstung, zufällige magische Eigenschaften auf Gegenständen und Talentbäume mit verzweigten Verläufen und mehreren lohnenswerten Builds. Dieses Mal sogar getoppt von Synergien, die jeden Punkt in eine Talentgattung sämtliche Talente dieser verstärken lies. Wie üblich erhielt der Spieler dadurch neue Fertigkeiten, welche sich in der Hot-Bar verlinken und darüber einsetzen ließen. Wohl gemerkt eine recht hohe Anzahl von zehn oder zwölf, entgegen den späteren Spielen dieses Genres.
Die Zufallsgenerierung der Level war tatsächlich exzellent gemacht. Bei jedem Spieldurchlauf änderte sich das komplette Layout, die Monsterarten und -anzahl einschließlich seltenen Kreaturen und Mini-Bossen. Das Gegnerspektrum reichte von niederem krabbelnden Getier, über emporragende Dämonen bis hin zu geisterhaften Erscheinungen, die in den Außenarealen furchteinflössend über den Spielern schwebten. Die gesamte Szenerie war kahl, düster und unheimlich. Was extrem gut zum Setting und der überzeugenden Hintergrundgeschichte passte.
Im Verlauf der Geschichte gab es einen langanhaltenden Krieg gegen Dämonen. Weshalb die Freimaurer zusammen mit den Templern bereits im 17. Jahrhundert unter London ein Labyrinth aus unterirdischen Tunnel baute und versiegelte sie mit einem mächtigen Zauber, der die Höllenarmee draußen hielt. Jahrhunderte später wurden diese Tunnel zum Londoner U-Bahn-Netz. Wodurch im Jahre 2038 des Spiels U-Bahn-Stationen die einzigen Rückzugsorte vor den Dämonen waren. Gewissermaßen im genauen Gegensatz zu Diablo konnten dort Händler aufgesucht werden, um Loot zu verkaufen und neue Ausrüstung zu erwerben. Hellgate war durch und durch Blizzard Norths nächster natürlicher Schritt von Diablo 2 zu 3D.
Während sich Hellgate konzeptionell grandios entwickelte, kämpfte das Team besonders was Feedback an ging jedoch mit enormen Problemen. Ihr früherer Arbeitgeber, Blizzard Entertainment, nutzte für konstruktives Feedback sogenannte Strike Teams. Entwickler-Teams, die nichts mit dem zu testenden Spiel zu tun hatten, aber extrem viel Erfahrung besaßen und somit ideal geeignet waren, das Testspiel zu verbessern. Namco hingegen, die wegen der bereits geleisteten Zahlungen immer noch im Boot waren, waren weder PC Publisher noch USA basierend. Von ihnen gab es kein konstruktives Feedback. EA war lediglich für die Herstellung und Auslieferung zuständig und fiel somit ebenfalls raus. Hanbit betrieb damals einen reinen Vertrieb und gar keine Entwicklung, also kam von denen auch kaum Feedback zurück. Es lief lediglich auf Aussagen hinaus wie „Ihr solltet mehr Social Stuff einbauen“. Zudem schlug der enorme Wachstum der Firma im Frühjahr 2007 stark zu Buche.
Die Hellgate Entwicklung hatte zwischenzeitlich zig-millionen-dollar verschlungen. Deutlich mehr als jemals geplant und Flagship stellte fest, dass selbst wenn sie so viele Exemplare wie bei den Diablo Spielen verkaufen würden, noch immer keinen Gewinn einfahren würden. Das wohlgemerkt, obwohl Hellgate: London mittlerweile sechs Publisher und fünf Kooperationspartner hatte. An letztere hatte Flagship Produktionsrechte für Comics, Romane, Action-Figuren und ähnliches verkauft. Das Studio musste zwangsläufig Geld durch das Backend also Online-Abos erzielen. Denn durch monatliche Gebühren würde der Betrag viel leichter erreichbar sein. Weshalb Flagship im Juni 2007 ein Preismodell fürs Online-Spielen vorstellte. Hellgate sollte monatlich 9,95 Dollar bzw. Euro kosten, oder 149,99 für ein lebenslanges Abo. Zu dem Zeitpunkt war World of WarCraft bereits ein bombastischer Durchbruch geworden, der mehr als 8 Millionen Spieler in seinen Bann zog. Monatliche Abo-gebühren waren also nicht mehr direkt ein Fremdwort für die Spieler-Gemeinde und verglichen mit den WoW Preisen war Hellgate sogar preiswert. Mit dem Begriff Free-2-Play konnte der damalige Spieler jedoch noch nichts anfangen und so war es für die meisten Käufer unverständlich, dass sie Hellgate kaufen und kostenlos online spielen konnten. Wofür sie zahlen sollten, war ein Hardcore Modus, spezielle PvP Arenen, PvP Ranglisten, Keine Login-Warteschlangen und die Möglichkeit Gilden gründen zu können. Was die Käufer stattdessen glaubten, war dass sie ein schlechteres Spiel bekamen, nicht alle Items erhielten oder ähnlich absurde Dinge. Entsprechend schlecht kam das Konzept bei der Käuferschicht an.
Einen Monat später, am 26.07.2007 startete Hellgate Londons geschlossener Beta-Test. Trotz des offenbar undurchschaubaren Preismodells wollten unglaublich viele Spieler an der Beta teilnehmen. Beta-Keys wurden auf eBay für bis zu 400 Dollar versteigert und Leute kauften Promotion-Artikel wie Hellgate-Statuen für 185€, um einen key zu bekommen. Die ersten Wochen des Beta-Tests hielt die Begeisterung an. Doch bis zum Beta-Ende im Oktober schlug die Stimmung um. Denn trotz unzähliger Beschwerden und Verbesserungsvorschläge, reagierte scheinbar kein Flagship Mitarbeiter auf die Postings im offiziellen Forum. In Interviews taten die Flagship Studios so, als ob alles in bester Ordnung wäre und das Spiel erschien nach gerade mal drei Monaten Beta-Test am 31. Oktober 2007. Die ausgelieferte Version war nicht einmal mit 1.0 gekennzeichnet. Es war weiterhin eine Beta-Version.