Derartige neue IPs mit originellen Charakteren und Handlung bei großen Publishern wie Ubisoft genehmigt und vor allem realisiert zu bekommen, hielt das Duo für unmöglich. Selbst wenn es ihnen gelänge, das Projekt zu rechtfertigen, rechneten sie durch die einhergehende Bürokratie mit einer mehrjährigen Entwicklungsspanne. Guillaume peilte den Release seines knapp 20-Stunden Abenteuers jedoch bereits für das Folgejahr (2021) an. Deshalb wandte er sich, neben seinem Studienkollegen Francois bei Frankreichs Logistikunternehmen Marcel, an die Internet-Gemeinde. Er durchstöberte zahlreiche Indie-Foren und stieß dabei auf die Soundcloud Bibliothek von Lorien Testard. Einem gänzlich unbeschriebenen Blatt der Branche, welcher sich sämtliche musikalischen Kenntnisse selbst lehrte, seit er mit 16 im Hause seiner Großmutter eine Gitarre fand. Lorien ließ sich bereits Monate zuvor von Videospielen inspirieren, stimmungsvoll passende Songs zu komponieren. Diese Sammlung überzeugte Guillaume auf Anhieb und so überredete er Lorien, unverbindlich einen Titelsong für We Lost beizusteuern.
Dieser Song bzw. der damit verbundene Trailer, diente selbstverständlich der Investoren-Findung. Dafür suchte Guillaumes, abseits eines Komponisten, ebenfalls mehrere ehrenamtliche Synchronsprecher über ein Reddit-Foren-Posting. Jennifer Svedberg-Yen verkörperte eine der wenigen Bewerberinnen, obwohl sie alles andere als geübt auf dem Gebiet war. Ähnlich Guillaume schlug sie, ungeachtet des Redakteurinnen und Malerei-Hintergrunds ihrer chinesischen Mutter, eine Laufbahn ihm Finanzwesen ein. Doch durch Jahre mit Investmentfirmen und Rentenkassen, kam Jennifer der kreative Teil ihres Lebens zu kurz. Weshalb sie alles auf den Kopf stellte und von kubanischem Salsa, über brasilianisches Jiu-Jitsu, bis zur Simulation einer NASA-Asteroiden-Mission alles ausprobierte. Besagte Synchronsprecher-Rolle zählte ebenfalls zu diesen Experimenten. Aufgrund der geringen Bewerber, erhielt Jennifer gleich zwei Rollen des Trailers.
Obwohl Prototyp samt Trailer lediglich auf vorgefertigte Charakter-Animationen zurückgriffen, überzeugte Guillaumes Vision 2020 tatsächlich erste private Investoren. Zu seiner Überraschung finanzierten sie das Projekt nicht nur für anderthalb Jahre. Sie ermutigten ihn sogar größer zu denken und über das fünfköpfige Indie-Team hinauszuwachsen. Infolgedessen gründete er mit seinen Freunden nicht nur im Oktober 2020 Sandfall Interactive, sondern heuerte mit Nicholas Maxsom-Francombe ebenfalls einen Grafiker fürs Spiel an. Die Sanduhr-Symbolik des Firmennamens lehnte das Trio dabei an Zeitkonzept ihres Werkes an. Ihr We Lost Prototyp gewann durch den ehemaligen Kostüm und Bühnenbildner einen gänzlich neuen Anstrich. Bis dahin schränkte Guillaume sogar Geschichtselemente ein, weil ihm die vorgefertigten Modelle wenig Spielraum ließen. Zusammen mit Nicholas drifteten die Gedanken dann in Richtungen, welche Videospiele bislang kaum beschritten. So gelangten sie zur Belle Époque. Einer Zeit des kulturellen Aufschwungs im frühen 20. Jahrhundert Frankreichs. Die einstige Hauptstadt Victoria verwandelte sich auf diese Weise zu Lumiere, einer fiktiven Variante Parises. Etwas das Nicholas als Retro-futuristisch oder Teslaisch bezeichnete. Denn die folgenden Überlegungen leiteten sie zu einem alternativen Paris, welches sich über knapp 100 Jahre hinweg auf einer Insel entwickelte. Abseits der Haussmann Architektur der französischen Hauptstadt, orientierte Nicholas sich dabei vor allem am Art déco Stil. Denn er liebte die Dishonored Reihe seiner französischen Arkane Studios Kollegen. Ein Einfluss, welcher sich besonders im Dessendre Familienanwesen zeigte. Dem ursprünglichen Startpunkt und Questhub des Spiels, das später dem Lagerfeuer wich. Obendrein mochte Nicholas surrealistische Maler wie Salvador Dali, die teilweise unerklärbaren Mist malten, Lumiere jedoch ein einzigartiges Landschaftsbild mit einem verbogenen Eiffelturm uvm. bescherten.
Fürs besagte Landschaftsbild, sowie den ungewöhnlichen Kleidungsstil, griff der neu ernannte künstlerische Leiter auf Keramik-Texturen und das Theater Design der kanadischen Cirque du Soleil Shows zurück. Durch ihre chemischen Reaktionen, erzeugte Keramik im echten Leben eher ungewöhnliche Farbschemen, die fortan das Hauptthema des Spiels vorgaben und sich in Steinen sowie Kreaturen des Spiels wiederfanden. Bei jedem Level fragte Nicholas sich, was diesen einzigartig machen würde? So kombinierte er beispielsweise rotes Gras mit weißen Gesichtern gefallener Nevrons. Es entstand ein Traum surrealer Fantasie.
Bekanntlich lieben Franzosen Fashion und Guillaume bildete da keine Ausnahme. Er hasste es bei anderen Spielen, wie die besten Ausrüstungsgegenstände den Spieler absichtlich hässlich aussehen ließen. Deshalb strebten sie nicht die typischen schweren Rüstungen mit Umhängen an, sondern geschmeidige Anzüge, welche an alte Infanterie Uniformen erinnerten. Angelehnt an die Final Fantasy IX Fähigkeiten Mechanik, entstand dazu ein Pictos und Lumina Gegenstands-Design und Charaktermodell, welches den Spieler das gesamte Spiel hindurch ansprechend aussehen ließ. Völlig losgelöst von jeglichem Fashion-Sense, führte ihr französischer Hintergrund in dieser Beziehung jedoch ebenso zum „Baguette Outfit“. Was die Heldentruppe wie eine Gruppe Clowns erscheinen ließ. Ein Aspekt, der sich durch zahlreiche Elemente des Spiels ziehen sollte. Aber als gebürtige Franzosen, konnte das Sandfall Interactive Team sich diesen Spaß erlauben.