Sandfall Interactive Historie – Malerische Expeditionen aus Montpelier

by Pandur

Obwohl Guillaume Jennifer eigentlich als Synchronsprecherin anheuerte, resultierte ihre kalifornische Herkunft und Ausbildung schnell in anderen Aufgaben. Denn Guillaumes anfängliche Schilderungen der Spielwelt und die eigentlichen Dialoge des Spiels waren enorm „französisch“. Weshalb Jennifer bereits in den ersten Monaten ihrer Mitarbeit, Dialoge korrigierte, die Handlung umschrieb und eine Narrativ-Bibel für We Lost begann. Auch wenn sie keine Ausbildung zur Romanautorin o.ä. genoss, schrieb Jennifer bereits Jahre zuvor Kurzgeschichten inspiriert von ihren Träumen. Diese Science-Fiction und Fantasy-Erzählungen handelten von Dingen wie beispielsweise, dass Gott im Koma liegt und eine Welt in seinem Kopf kreierte. Eine weitere erzählte von einer jungen Frau, welche ihre Mutter im frühen Alter verlor, aber Jahre später von ihrem Großvater überraschend das Gegenteil erfuhr. Er enthüllte, ihre Mutter könne in Gemälde eintauchen, deren Welten bereisen und sei bei einem dieser Abenteuer verschollen. Als die junge Frau das herausfand, jagte sie kurzentschlossen ihrer Mutter nach, um sie aus dem Gemälde zu retten.

Zum Zeitpunkt besagter Investoren-Anregung, größer zu denken, schrieben Guillaume und Jennifer dann die Handlung komplett um und zweitere Kurzgeschichte gedieh zu einem neuen Grundpfeiler des überarbeiteten Plots. Gänzlich unabhängig davon sah Guillaume zufällig zu der Zeit beim Browsen von Art Station das Bildnis einer Weltuntergangsuhr. Zudem steckten sie mitten in der Covid-Pandemie. Der Verlust anderer Personen und die Trauer um diese, war also allgegenwärtig. Für das gesamte Team gab es nichts schlimmeres, als ein geliebtes Familienmitglied zu verlieren. So vereinten sie diese drei Komponenten, mit dem bereits bestehenden Ansatz der Horde im Gegenwind, zum neuen Plot des Spiels. Der Großvater aus Jennifers Kurzgeschichte verwandelte sich in Renoir, die Tochter in Maelle und ihre verschwundene Mutter in Aline. Jedoch mit dem Twist, dass sowohl Aline als auch Renoir Gemälde malten, in denen sich ganze Zivilisationen in einem anderem Zeitverhältnis entwickelten. Infolge des Todes ihres gemeinsamen Sohnes Verso, in der realen Welt der Story, flüchtete Aline angetrieben von Trauer in eine dieser Welten. Beim anschließenden Versuch, seine Frau gewaltsam aus dieser Fantasiewelt zurück zu holen, wuchs Renoir dann zum Zerstörer der gemalten Welt, sowie dem Auslöser für die Weltuntergangsuhr.

Guillaume und Jennifer einigten sich schnell darauf, den Spieler nicht händchenhaltend zu begleiten. Sie wollten Fakten schaffen, die Spielraum für Interpretation ließen. Als solche erhielten viele Elemente in den ersten beiden Akten des Spiels eine doppelte Bedeutung. Ein Umstand, der später bei den Lokalisierungen, für starke Komplikationen sorgen sollte. Denn egal ob deutsch, englisch, französisch oder spanisch, mussten Dialoge sämtliche Ebenen der Bedeutung vermitteln. Der Plot sollte generell nicht von Gut gegen Böse handeln, sondern von Charakteren, die sich stark umeinander kümmerten. Deshalb strebten sie beim finalen Showdown auch keinen Oberbösewicht an, sondern einen Konflikt zwischen den Hauptakteuren. Diese Figuren sollten eine unterschiedliche Sicht der Geschehnisse bieten. Am ausschlaggebendsten war aber zweifellos Guillaumes Bestreben, den Spieler zu schockieren und außergewöhnliche Plot-Twists herbei zu führen. Bereits während Jennifer Guillaumes We Lost Plot korrigierte, scherzte sie, sie sollten ihren Hauptcharakter im ersten Akt umbringen. Ein Einfall, den Guillaume mochte und so bei der Story-Überarbeitung erneut zur Sprache kam. An diesem Punkt, machte es in der Tat Sinn. Denn Gustaves Tod eröffnete den beiden Schreibern die Möglichkeit, den nächsten Spielercharakter, Verso, einzuführen. Zudem wurde sein Verlust, die Grundlage für den eigentlichen Heldenhauptcharakter, Maelle. Obendrein signalisierte das Duo dem Spieler dadurch, dass in diesem Game alles geschehen konnte und sie mit starken Emotionen rechnen mussten! Guillaume liebte es schlichtweg die Erwartungen der Zuschauer zu zerpflücken!

Sowohl der neu gewonnene Malerei-Hintergrund, als auch die verschiedenen Facetten der Geschichte zu beleuchten, resultierte im Titel des Spiels, sowie des übergeordneten Universums: „Clair Obscur: Expedition 33“. Während die Expeditionsnummer weiterhin auf den Horde im Gegenwind Ursprung sowie das Alter der Gruppe verwies, ging der Titel der übergeordneten IP-Reihe auf die italienischen Mal-Technik „Chiaroscruo“ zurück. Ein Stil, welcher das Zusammenspiel von Licht und Schatten beschrieb, wie beispielsweise eine leuchtende Silhouette vor einem dunkel Hintergrund abzubilden. Für Sandfall verkörperte es obendrein eine komprimierte Beschreibung von allem, was das Projekt definierte.

Die 30er Altersgruppe der Heldenfiguren, war für JRPGs äußerst ungewöhnlich. Sie rangierte typischerweise im Teenager Alter. Doch für die Sandfall Schreiber ging es vor allem darum, dass ihre Figuren die Welt aufwachsen sahen, sich für diese engagierten und sich unterschiedliche Meinungen bildeten. Ferner vermittelten sie durch die jüngere Maelle stets eine alternative Perspektive. Im Rahmen des World-Buildings sollten die Helden ebenso eine integrale Rolle in Lumiere’s Gesellschaft spielen. Deshalb erhielt Gustave beispielsweise eine Ingenieurs-Hintergrund. Zusammen mit seinen weiblichen Kolleginnen, Lune und Sciel, errichtete er die Aquafarms der Stadt. Eine Idee, welche auf Jennifers eigene Experimente mit Hydrokulturen in ihrem Badezimmer zurückging. Gleichzeitig lieferte ihre zweimonatige NASA Mission der Schreiberin unverzichtbares Wissen über den tatsächlichen Ablauf einer Expedition. Dadurch wurde ebenso deutlich, dass ihre fiktive Truppe nicht aus Soldaten wie in Final Fantasy oder Lost Odyssey bestehen durfte, sondern forschungsorientiert auf verschiedene Wissenschaftler zurückgreifen musste. Infolgedessen spiegelte die ehemalige Farmerin Sciel die pragmatische Seite der Geschehnisse wieder. Durch den Tod ihres geliebten Gatten, erlitt sie bereits den größtmöglichen Verlust und akzeptierte zwischenzeitlich die Realität. Lune verschrieb sich gänzlich dem Studium der mysteriösen Malerin Aline. Diesen traditionellen Forscherinnen-Hintergrund leitete Jennifer wiederum von ihrer eigenen akademischen Erfahrung sowie der Finanzlaufbahn ab. Ähnlich persönlich verhielt es sich mit den Malern Renoir und Aline, deren Konflikt Jennifer an das Verhalten ihrer eigenen Eltern anlehnte. Die Naivität und eher idealistische Denkweise der 16-jährigen Maelle, entstammten ebenfalls aus dieser Zeit, nämlich Jennifers Jugend. So versuchtedie kleine Maelle im Spiel lediglich ihr Leben in vollen Zügen zu genießen. Entgegen der übrigen älteren Kameraden, ging es ihr überhaupt nicht darum länger zu leben. Nach diesem Schema entstand die Selbstmordmission der Expedition 33. Ein rekordverdächtiges 800-seitiges Skript. Plus einer Narrativ-Bibel, welche auf stolze vier Generationen von Gustaves Familie zurück reichte. Eigentlich kreierte Jennifer, aus Komponenten von Französisch, Schwedisch und Latein, zusätzlich eine Magier-Sprache für Lune und ihre Kameraden. Doch schaffte es diese nie ins finale Spiel.

Der primäre Austragungsort Expedition 33s wurde ein imaginäres Gemälde, welches Verso, der einzige männliche Nachkomme Aline’s und Renoir’s, vermeintlich in seiner Kindheit malte und Mutter Aline später vervollständigte. Obwohl es nicht in Strichmännchen resultierte, entwickelte die Spielwelt sich dadurch extrem abwechslungsreich, von Arealen mit fliegendem Wasser, über gigantische Türme im Himmel, bis hin zu Kolossen mit antiken Säulen. Guillaume und Jennifer fragten sich, was ein Junge in Versos Alter zeichnen würden und gelangten so zu Neuinterpretationen der Dessendre Familienhunde, Monoco und Noco, sowie dessen Lieblingskuscheltier Esquie. In einem Haus, das ausschließlich von Malern bewohnt wurde, schienen Pinsel ebenso ein gängiges Spielzeug. Weshalb Verso angeblich freundliche Fantasiewesen namens Gestrals zeichnete, die stark an lebende Pinsel erinnerten und sich in Tradition von kleineren Reibereien, ständig gegenseitig duellierten. Art Director Nicholas erschuf für diese Wesen eine Art Friedhof vergessener Spielzeuge. Einen lebhaften Ort aus rot und weiß, der sich heimisch anfühlte, jedoch Fallen und Labyrinthe umfasste.

Besagtes Hundespiegelbild Monoco, beschrieb Jennifer als seltsam blutrünstigen Philosophen. Nicholas ging es bei dessen Optik darum, etwas ähnlich animalisches zu gestalten. Er visualisierte Monoco als affenähnlichen Kreatur mit weißem Fell und einer schwarzroter Maske. Sein Name, sowie der seines vermeintlichen Sohnes Noco, bezogen sich jedoch auf Sticheleien des Teams. Denn der schwedische Ubisoft-Studio-Kühlschrank war damals stets mit Nocco Energy Drinks gefüllt. Ein Getränk, was Tom und Guillaume suchteten. Ihre Abhängigkeit ging so weit, dass sie im Sandfall Büro weitere Kollegen ansteckten und später Listen darüber führten, wer täglich mehr Noccos trank. Jennifer zog die Belegschaft ständig damit auf, einen Charakter nach dem Energy Drink zu benennen. Was eines Tages Realität wurde.

Abseits davon widerstrebte es Nicholas, Nicht-menschliche-Füße zu designen. Weshalb die freundlichen Gestral Pinselwesen schlicht keine bekamen. Zu Monocos Erscheinungsbild zählte da bereits ein Bündel Stöcke auf seinem Rücken. Als es dann um dessen Metamorphose-Fähigkeit ging, kamen sie gemeinsam auf den Gedanken, der uralte Krieger könnte Füße sammeln. Ein Konzept, welches Jennifer liebte und umgehend in zahllose Dialoge integrierte. Wodurch Monoco mit Sprüchen wie „Was hast du für schöne Füße“ Rotkäppchen zitterte. Um den Running Gag zu vollenden, taufte das Sandfall Team später ihren „Happyness-Manager“, den Bürohund, Monoco.

Vergleichbar verewigte sich das Sandfall Team sowohl akustisch, optisch als auch namentlich in Charakteren des Spiels. Von Guillaume und Technical Artist Alexandre als Lehrlinge Gustaves, über Produzent Francoise als Schildkröte, bis hin zu Hair Character Artist Amandine, welche im Spiel tatsächlich eine gleichnamige Hairstylistin verkörperte. Genauso vertonte jeder Sandfall Mitarbeiter einen oder mehrere Gestrals mit ihrer bizarren Mischung aus französischen und italienischen Lauten. Diese Einbindung des Teams trafen jedoch nur auf Begleitcharaktere zu. Für die Hauptfiguren achteten ihre Schöpfer darauf, poetische Namen zu finden, die ausgesprochen im Englischen und Französischen ähnlich klangen. So erhielt Magierin Sciel den Namen des Himmels und Lune formte den Mond. Maelle reichte hingegen auf Guillaumes Lieblingsname eines Mädchens zurück. Vergleichbar wirr bestimmte er die Namen vieler Kreaturen des Spiels, wie zum Beispiel dem Sakapatat, also einer wie ein Sack Kartoffeln aussehender Kreatur. Derartige eher unprofessionelle aber amüsante Entscheidungen, wären in einem heutigen AAA-Titel kaum zu finden. Aber für viele Spieler sollte das später ebenfalls den Charme des Spiels ausmachen. Ähnliches galt für Magierin Lune, welche das gesamte Spiel Barfuß durchquerte, weil Nicholas sie auf der ersten Konzeptzeichnung eben so malte. Darauf durchströmte Lune die Elementar-Magie von ihren Füßen an.

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