Entgegen der heutigen Zeit, wo es klare Grundregeln fürs Spieldesign gibt, wie etwa die Zeitspanne, in welcher sich der Spieler in einem First-Person-Shooter einmal um die eigene Achse dreht, gab es sowas 1980 noch nicht. Ataris Entwickler definierten diese Grundregeln für zukünftige Generationen. Eine dieser experimentellen Ideen Dave Theurers war die Verwendung eines Trackballs. Der war alles andere als populär, besonders was Videospiele anging. Die Royal Canadian Navy hatte ihn in den 50ern erfunden und Atari setzte ihn zumindest einmal bei ihrem Football Automaten ein. Dave sah darin einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem gewöhnlichen Joystick: die Geschwindigkeit. Das zweite große Hardware-Feature wurde ein Farbmonitor. Das klingt heute extrem primitiv, aber Ataris Spielautomaten waren bis dahin schwarzweiß gewesen. Auch wenn die Konkurrenz bereits farbige Spielautomaten einsetzte. Farbe bedeutete ein kostenintensives Upgrade, von dem Dave jedoch überzeugt war, es müsse sein, damit Missile Command real schien.
Für gewöhnlich arbeitete der typische Atari Programmierer zu Beginn seines Projektes die verschiedenen Gameplay Möglichkeiten aus und pickte dann das heraus, was ihm am besten schien. Auch in dieser Beziehung war Dave anders. Wann immer er die Gabelung des Spieldesigns erreichte, baute er sämtliche Variationen, spielte sie und ermittelte dadurch welche er ins finale Design übernahm. Auf diese Weise verschwand im nächsten Schritt der Radar-Arm. Denn Rich und er wollten das Spielgeschehen zunächst simplifizieren. Um den Schwierigkeitsgrad von dort an schrittweise zu steigern, implementierten sie stattdessen Flugzeuge und Satelliten. Diese beiden Flugkörper bewegten sich in einem niedrigeren Orbit und warfen ebenfalls Raketen ab. Was den Spieler zwang, den gesamten Bildschirm im Auge zu behalten, nicht nur den oberen Rand. Doch Dave hielt das noch immer nicht für eine ausreichende Herausforderung. Weshalb er im nächsten Schritt MIRVs einbaute. Also Raketen mit multiplen Sprengköpfen, die sich nah am Ziel aufteilten. Auf sie musste der Spieler umgehend reagieren, damit er alle abdriftenden Sprengköpfe erwischte. Im finalen Schritt erweiterte er das gegnerische Waffenarsenal um Smart Bombs. Diese steuerten nicht unbeirrt auf eine Explosion der defensiven ABMs zu, sondern lenkten davor ab. So wurde es sinnlos schlichtweg Raketen in den Himmel zu spammen.
An dem Punkt stand das eigentliche Design Missile Commands und Dave konnte es auf ein ROM brennen. Aber damit war der Automat keineswegs vollendet. Denn genau wie bei heutigen Beta-Tests, probierte auch Atari damals ihre Spielautomaten an der Öffentlichkeit aus. Vorwiegend um deren Anziehungskraft zu prüfen und dem Spiel seinen letzten Schliff zu geben. Ein Ereignis über das sich die Spielhallenbesitzer i.d.R. freuten, da sie die gesamten Einnahmen einstreichen durften. Dieser Feld-Test war außerdem der Auslöser für Gerüchte á la The Last Starfighter. Bei dem Männer in schwarzen Anzügen Spieler beobachteten und die besten von ihnen entführten, um an ultrageheimen Regierungsprogrammen teilzunehmen. Tatsächlich handelte es sich bei den Männern meist um die eigentlichen Entwickler oder Konkurrenten, welche die Spielkonzepte kopierten. Denn wenn die Konkurrenz schnell genug war, konnte sie ihren eigenen Automaten mit dem gleichen Konzept vielleicht sogar fixer auf den Markt werfen, als das Original.
Im Falle von Missile Command geschah dieser Test in der „Oasis“ von Palo Alto, einer kleinen örtlichen Bar. Und für Dave bedeutete es, Tagelang durchzuarbeiten. Tagsüber machte er sich Notizen und Nachts setzte er sie um, damit das neue ROM am kommenden Morgen einsatzbereit im Automaten schlummerte. Die Spitze dieses Durchzechens gipfelte für Dave in 96 Stunden Arbeit am Stück. An dem Punkt vollendete er gerade sein Werk und musste das Ergebnis nur noch auf ein ROM brennen. Aber in dem Augenblick versagten seine motorischen Fähigkeiten. Er wusste, wie er das ROM brannte und den Automaten wieder zusammensetzte, aber sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Er hatte vergessen, wie die Tastatur funktionierte. Ungeachtet der Alarmglocken, die das auslöste, rief er einen Kollegen zu sich und erklärte diesem was zu machen sei.
Für Dave war es ein einschneidendes Erlebnis. Auch wenn Anderen nicht genau das passierte, war es normal für Atari Mitarbeiter. Die Firma winkte mit Geld, wie einer Karotte vor deren Nase und Viele glaubten, der Job würde ihnen außerdem Spaß bereiten. Aber tatsächlich hielt der typische Programmierer lediglich zwei oder drei Jahre durch. Dann war er ausgebrannt. Für Dave gesellte sich ein zweites Problem hinzu: der unausweichliche Gedanke eines Atomkrieges. Durch seine tägliche Arbeit an dem Spiel und die allgegenwärtigen Nachrichtenmeldungen, beschlich ihn eine unglaubliche Angst vor einem realen nuklearen Angriff. Die unzähligen Überstunden halfen ihm, den Gedanken während der Missile Command Produktion, die meiste Zeit zu verdrängen. Aber als der Spielautomat in die Fertigung ging und er langsam herunter fuhr, übermannte ihn diese Vorstellung gänzlich.
Dave wohnte damals am Ames Research Center in Mountain View. Wenige hundert Meter vom Moffet Federal Airfield entfernt. Von wo aus Lockheeds U-2 Aufklärungsjäger abhoben. Jeder Start dröhnte wie die Explosion einer Bombe. Ein Geräusch, das sich in Daves Schlaf schlich. Er träumte davon, durch die Santa Cruz Mountains zu wandern, auf Sunnyvale zu blicken und dort einen gigantischen Atompilz aufgehen zu sehen. Auch Monate nach der Vollendung Missile Commands, ließen diese Albträume eines nuklearen Angriffs nicht nach.
Auf der Arbeit war Dave längst zu seinem zweiten eigenen Projekt, Tempest, übergegangen. Ataris erstes farbiges Verktorgrafikspiel, was als Space Invaders aus der Ich-Perspektive begann. Das original Space Invaders verkaufte Atari damals stolze 360.000 Mal. Ganz so viele Exemplare setzte Missile Command nicht ab. Doch mit über 20.000 Spielautomaten und unzähligen Portierungen auf Spielkonsolen für die Wohnzimmer der 80er, wurde es dennoch zu einem von Ataris Kassenschlagern. Das 11 Kilobyte große Spiel und Daves zweites Werk, brachten ihm einen Porsche 928 ein. Aber kosteten ihn im Gegenzug seine Gesundheit. Deshalb und weil Dave Theurer immer mehr Zeit damit verbrachte Grafiken für seine Spiele zu konvertieren und reparieren, wendete er der Videospielindustrie den Rücken zu. Letzteres motivierte ihn dazu ein Grafik-Konvertierungsprogramm zu schreiben. Das verkaufte sich dermaßen gut, dass Dave die folgenden Jahre weitere Tools für andere Entwickler schrieb.
Sein alter Arbeitgeber, Atari, veröffentlichte hingegen 1982 Liberator. Was von Vielen als Nachfolger zu Missile Command angesehen wurde. Es kehrte die Situation um und ließ den Spieler planetare Basen aus dem Orbit beschießen.
Einzelnachweise:
- The Creation of Missile Command And The Haunting Of It’s Creator, Dave Theurer
- Blowing Things Up – Dreamsteep
- Atari Inc.: Business is Fun
- 8-Bit Apocalypse: The Untold Story of Atari’s Missile Command
- Dave Theurer talks about Tempest