Kaum bemerkten die Langstreckenscanner der Mond-Basis das unbekannte Flugobjekt, da stiegen auch schon zwei Interceptor Jäger mit Kurs auf sie in den Himmel auf. Im Erdorbit angelangt, bereiteten sie den Außerirdischen einen warmen Empfang. Aber das UFO steuerte unbeirrt weiter auf die Erdoberfläche zu. Erst als es den Luftraum von bewohntem Gebiet erreichte, zwangen die Interceptor Jäger es zu Boden. In dem Moment befand sich X-COMs Skyranger bereits im Anflug. Kaum berührte dessen Fahrwerk den Boden, schwärmten die schwerbewaffneten Soldaten bereits aus. Im nächsten Moment setzte das Surren der Miniguns ein, gefolgt vom ohrenbetäubenden Gesang der Hohlmantelgeschosse und Platzen außerirdischer Körper. In rascher Folge sackte ein Eindringling nach dem anderen zusammen. Eingeschüchtert von X-COMs Reaktionszeit und Schlagkraft, retteten sich die letzten grünen Männchen in ihr Raumschiff und steuerten auf die Weiten des Alls zu.
Julian Gollops Kindheit glich einem Nomaden-Dasein. In Indien geboren, reiste seine Familie nach England, dann Schweden und dann wieder ins Herz Großbritanniens. In einer Zeit ohne Internet, war es ein unmögliches Unterfangen für Julian Freundschaften aufrecht zu erhalten. Dafür wuchs der Zusammenhalt seiner Familie. Brettspiele wurden eine Tradition der Gollops. Besonders zu Weihnachten war es garantiert, dass Nicks und Julians Vater ein neues Brettspiel kaufte, was sie gemeinsam spielten. Julian liebte die Avalon Hill und Games Workshop Titel so sehr, dass er mit zwölf anfing eigene Brettspiele zu entwerfen. Eine seiner frühen Schöpfungen war das Pen & Paper Game Time Lords. Ein Spiel mit fünf imaginären Planeten und 15 Zeitzonen, bei dem der Spieler als Time Lord die Kriege finden musste, die sein Volk im Laufe der Jahrhunderte auf den diversen Planeten verloren hatte. Um ihren Verlauf umzulenken und dadurch die Zukunft seines Volkes zu beeinflussen. Das verständliche Problem dieses von Doctor Who inspirierten Brettspiels war, dass die Spieler die ganzen Ereignisse unmöglich im Kopf behalten konnten. Weshalb Julian seinen Freund Andy Green bat, es auf seinem BBC Micro zu programmieren. Dieser Moment, im Jahre 1983, war Julians Einstieg in die Videospiele-Industrie. Er kaufte einem Freund für 25 Pfund dessen alten ZX81 ab und brachte sich selbst Basic bei. Darin schrieb Julian Nebula. Ein äußerst rudimentäres Strategiespiel um die Kolonisierung der Galaxie.
Mit dem ebenfalls 1984 erschienen Rebelstar Raiders wagte sich Julian erstmalig an ein Team-basierendes Taktikspiel. Es war erneut von Brettspielen abgeleitet. Games Workshops Sniper und Snap Shot dienten ihm als Vorlage. Dessen Nachfolger Rebelstar und das folgende Chaos – The Battle of Wizards entwickelte Julian, während er sich ein Jahr Auszeit zwischen High-School und College gönnte. Eine Zeit, in der er zur Assembler-Programmierung wechselte. Beide Spiele zeigten bereits die stetige Evolution zu dem Spiel, was Julian groß raus bringen würde. Sie boten Aktionspunkte, sowie ein Moral- und Finanzsystem.
Langsam aber sicher wurde Julian klar, dass seine College Laufbahn nirgends hinführte. 1987 gründete er zusammen mit seinem Freund Ian Terry und seinem Vater als Geldgeber Target Games. Als Publisher Firebird ihr gemeinsames Rebelstar 2 veröffentlichte, verabschiedete sich Ian bereits wieder. Target Games wechselte vollständig in Familienhand und wurde zu Mythos Games. Unter dieser Flagge programmierte Julian die Spectrum sowie Amstrad Version von Laser Squad und sein Bruder Nick die C64 Fassung. Laser Squad war Julians Vorstufe zu X-COM. Es umfasste bereits multiple Szenarien, ein verdecktes Bewegungssystem mit Sichtlinien, Ausrüstungsmanagement und eine zerstörbare Umgebung. Nach einem kurzen Abstecher für ihren Chaos Nachfolger Lords of Chaos 1990 fingen die Brüder mit dem Konzept von Laser Squad II an. Im Herbst 1991 hatte Nick eine erste Demo davon auf ihrem neuen Atari ST kreiert, während Julian die Firma durch Datenbankprogrammierung über Wasser hielt. Er und sein Bruder waren überzeugt, Laser Squad II würde ihr Durchbruch werden. Aber dieser Schritt bedurfte ebenso eines namenhaften Publishers. Nicht lokaler Größen wie Blade Software oder Red Shift, die ihre ersten Werke veräußert hatten und finanziell nicht mal in der Lage waren, die von den Geschäften bestellte Spielanzahl zu fertigen. Domark, Krisalis und vor allem Microprose waren ihre Traumfirmen. Microprose hatte im Jahr zuvor Sid Meier’s Railroad Tycoon und gerade aktuell Civilization herausgebracht. Zwei Spiele, welche die Gollop Brüder vergötterten und Microprose somit in ihren Augen zum ultimativen Publisher machten.
Microproses britische Niederlassung bestand zu der Zeit hauptsächlich aus einem Publishing Label, das ein kleines Studio in Stroud unterhielt und einige externe Entwickler beaufsichtigte. Die Firma selbst war beinahe ein Jahrzehnt zuvor in Baltimore, Maryland, von Wild Bill Stealy und Sid Meier gegründet worden. Dort in den USA entstanden die wahren Hits. Nicht in Großbritannien. Microprose UK durfte stets die Konvertierungen auf andere Plattformen handhaben und natürlich den europäischen Vertrieb managen. Ihre amerikanischen Kollegen sahen sie als das kleine Ziehkind an. Ein Image von dem sich die Briten ganz klar zu lösen versuchten. Sie mussten ihren US-Kollegen zeigen, dass auch sie einen Verkaufsschlager wie Civilization abliefern konnten. Zu dem Zeitpunkt meldeten sich die Gollop Brüder bei ihnen. Oder genauer gesagt bei Produzent Pete Moreland. Pete hatte selbst Laser Squad gespielt und war von der Grundidee begeistert. Er wollte aber ebenso ein Civilization Gegenstück produzieren, weshalb er den Gollops drei Änderungen diktierte. Ihr Spiel müsse auf der Erde statt dem Mars spielen, damit sich die Spieler emotional damit verbunden fühlten. Es musste einen Technik-Baum zum Erforschen von Waffen und Ausrüstung enthalten. Und zu guter Letzt ebenfalls ein Gegenstück zu Civilizations Civilopedia bieten. Was effektiv bedeutete, Laser Squad II würde immens im Spielumfang und Entwicklungszeit wachsen.
Pete war obendrein ein gewaltiger Fan von Gerry Anderson’s UFO Fernsehserie, womit das Spiel ideal den Erd-Aspekt erfüllen würde. Denn die britische UFO Show drehte sich um die von der Erde operierende S.H.A.D.O. Geheimorganisation, die ebenso eine Überwachungsstation auf dem Mond unterhielt. Dieser Vorschlag brachte Julian auf die Geoscape. Die Übersichtskarte in Form der rotierenden Erde samt Tag-Nacht-Zyklen, die sämtliche Ereignisse aufzeigte. Der Spieler durfte aus dieser Perspektive alle strategischen Aspekte managen, beginnend vom Standort seiner Basis bis hin zum Abfangen von UFOs und deren Bergung. Die Geoscape vermittelte dem Spieler den Eindruck Gottgleich zu sein und alle Freiheiten zu genießen. Julian kombinierte Petes UFO Vorschlag mit Timothy Good’s Buch „Alien Liaison“. In dem ein Area 51 Ingenieur Reverse-Engineering von UFOs betrieb. Es beschrieb ebenso die Entführung von Rindern und Menschen. Beides wanderte direkt ins Spiel. Der Spieler versuchte UFOs mit Abfangjägern im Luftraum abzuschießen. Wurde diese erste Verteidigungslinie durchbrochen, entsandte er den Skyranger Truppentransporter zum gelandeten oder abgestürzten Schiff. Dort entbrannte das taktische Runden-Gameplay, was bereits Julians frühere Spiele prägte. Sobald die Außerirdischen bezwungen waren, barg das Team Leichen und Technologie zum erforschen eigener Ausrüstung. Statt direkt UFOs S.H.A.D.O. Geheimorganisation zu übernehmen kam Microprose Designer Stephen Hand auf die „extraterrestrial contact force“. Da sich X-CON jedoch zu sehr nach einer Verbrecherorganisation anhörte, wurde sie zur X-COM, der eXtraterrestrial COMbat Force. Für den europäischen Release adaptierte Julian jedoch den Titel der Serie fürs Spiel. Laser Squad II wurde zu UFO: Enemy Unknown.
Während Julian und Nick zusammen mit Grafikern sowie Designern von Microprose UK an dem Spiel arbeiteten, steuerte der Microprose Hauptsitz in Baltimore auf seine erste große Finanzkriese zu. Gründer Bill Stealy verkaufte seine Firma im Sommer 93 an die Investmentfirma Kleiner Perkins, welche wiederum die Spectrum HoloByte Führung als Kontrollinstanz einsetzte. Obwohl Microprose somit Spectrum Holobyte unterstand, war es die größere Firma und auch das bekanntere Label. Weshalb Microprose unter ihrem eigenen Namen fortbestand. In Folge von Spectrum HoloBytes Umstrukturierung verloren auch 40 Mitarbeiter von Microprose Uks Hauptniederlassung in Chipping Sodbury ihren Job. Das Zweitstudio in Stroud wurde komplett geschlossen. Zahlreiche laufende Projekte fanden durch den Rotstift der neuen Firmenleitung ihr Ende, so auch UFO: Enemy Unknown. Pete Moreland behielt seinen Job jedoch und er war weiterhin darauf aus den Amerikanern zu zeigen, dass sie Spiele-Hits produzieren konnten. So ignorierte er die Anordnung und verheimlichte die lediglich 5.000$ hohen monatlichen Entwicklungskosten des Spiels. Auf diese Weise war es Julian und Nick möglich ihr Spiel weit über die geplante 18-monatige Entwicklung voranzutreiben. Im Dezember 1993 hatten sie entspannte 27 Monate ins Spiel gepumpt, als der Spectrum HoloByte Aufsichtsrat ein Problem auf die Firma zukommen sah. Bis zum Ende des Finanzjahres, im März 1994, würde kein neuer Kassenschlager fertig werden. In dem Moment zog Pete seine Trumpfkarte aus dem Ärmel. Er enthüllte, dass sie UFO gar nicht eingestellt hatten und rettete damit die Firmenbilanz. Für die Gollop Brüder bedeutete es jedoch, dass ihr Spiel nun in drei Monaten vollendet werden musste. Sie hatten Haufenweise Systeme wie das UFO-Abfangen, die Echtzeit-Geoscape, den Basenbau, die Forschung und natürlich das Battlescape System. Letzteres war zwischenzeitlich sogar zu einem isometrischen System aus prozedural generierten Umgebungen und Lichtabstufungen für Nacht-Einsätze angewachsen. Aber die Systeme griffen alle noch nicht ineinander. Mit der Unterstützung von sieben Microprose Mitarbeitern durchliefen Julian und Nick drei Monate Crunch-Time, damit UFO: Enemy Unknown im März 1993 das Licht der Welt erblickte. UFO wurde ein bombastischer Durchbruch. Englische sowie amerikanische Magazine wie Computer Gaming World oder Electronic Gaming Monthly überschütteten es mit Lobeshymnen. Es erhielt eine 94% Durchschnittswertung und verkaufte sich innerhalb des ersten Jahres bereits mehr als 400.000 mal. Womit es einen besseren Start als Civilization hinlegte. Die Gollops selbst legten eine Amiga Portierung nach und Microprose konvertierte es auf Sony’s Playstation. Versionen, die unter anderem Namen wie „X-COM: UFO Defense“ und „X-COM: Enemy Unknown“ erschienen. Mit ca. 180.000$ Entwicklungskosten wurde es Microprose bis dahin gewinnbringendstes Spiel. Allein Julian und Nick erhielten 1,5 Millionen Dollar Gewinnbeteiligung. Was nur ein Bruchteil des Microprose Gewinns war.