Anthem – BioWares Online-Looter-Shooter

by Pandur

Das größte Problem daran war, dass sämtliche EA Studios etwas in die Engine hinein hackten, es aber nicht dokumentierten. Gleichzeitig ließen sich erfahrene Frostbite-Engine-Programmierer nicht eben mal einkaufen, wie es bei der Unreal-Engine der Fall war. Stieß BioWare ihrerseits auf Hindernisse oder Bugs in der Engine, musste sie um Resourcen bei DICE in Schweden buhlen. Kämpfe die stets auf Basis des potentiellen finanziellen Gewinns ausgefochten wurden. Und Rollenspiele erzeugten bedeutend weniger Gewinn als FIFA oder Battlefront. Schlimmer noch, ihre wenigen eigenen Frostbite Entwickler verlor BioWare 2016 eben an FIFA. Weil EA den neusten Spross der Reihe auf Frostbite umstellte. Egal wie sehr sich die Kanadier anstrengten, Frostbite bremste alles aus. Dem Team wurde im Verlauf der Jahre immer klarer, dass viele ihrer geplanten Ideen unmöglich in Frostbite zu realisieren waren. Beinahe alle Umwelteinflüsse und Überlebens-Features der anfänglichen Prototypen wurden nach und nach gestrichen. Denn selbst die gesamte Back-End Architektur eines Herstellungssystems fehlte noch komplett. Genauso erging es der Spielwelt. Das erste Konzept hatte multiple Städte vorgesehen. Diese schrumpften im Laufe der Zeit auf eine Stadt samt vom Spieler errichtete Außenposten, zu einer Stadt mit mobilen Stridern, also AT-AT ähnlichen Gefährten. Was letztlich auf die eine Stadt reduziert wurde: Fort Tarsis.
Im Gegenzug sorgte diese Reduzierung jedoch für den Titel des Spiels: Beyond. Denn Dylan sollte sich darum drehen, dass der Spieler über die sicheren Mauern Fort Tarsis hinweg in eine ungewisse Wildnis ausrückte.

Als 2016 sich dem Ende näherte, hatten sie zwar ein schönes Landschaftsbild mit ein paar Kreaturen bevölkert, aber es gab noch keine einzige Mission. Denn Niemand wusste wie das grundlegende Gameplay funktionieren sollte, wo nun sämtliche Features unrealisierbar waren. Nach diesen ungefähr vier Jahren Entwicklungszeit hätte ein normales Spiel längst in Produktion gehen müssen. Aber das bedurfte eines „Vertical Slice“, also einem funktionieren Prototypen, der alle wichtigen Features enthielt und auf dessen Basis das restliche Spiel aufgebaut werden konnte. Die Weihnachten-2016-Demo, welche BioWare traditioneller Weise ihren Mitarbeitern über die Feiertage zum Testen mitgab, war eine flache Welt, in welcher der Spieler umher rannte und Aliens abschoss. Denn obwohl das BioWare Montreal Team in ihrem Mass Effect: Andromeda bereits Jetpacks für kurze Luftmanöver integriert hatte, fehlte der springe Funke, längere Flüge unterhaltsam zu gestalten.

Es folgte der März 2017 Release von Mass Effect: Andromeda. Der befreite zwar ein paar wenige BioWare Edmonton und ein paar mehr BioWare Austin Mitarbeiter von ihren Aufgaben. Aber die Montreal Niederlassung wurde von Electronic Arts aufgrund der miserablen Verkaufszahlen im Handumdrehen geschlossen.
Zur ungefähr selben Zeit, testete EA-Worldwide-Studios Chef, Patrick Söderlund, die Weihnachtsdemo. Als ehemaliger Chef von DICE, zeigte er sich äußerst unbeeindruckt von der grafischen Leistung Beyonds. In Folge dessen bekamen einige hochrangige BioWare Mitarbeiter einen Crash-Kurs von DICE in Stockholm und das Studio eine Sechs-Wochen-Frist, eine Demo des Spiels zu erschaffen, die Söderlund überzeugen würde es weiterzuführen.

Da „Fliegen“ Beyonds einziges Feature war, was das Spiel von Konkurrenzprodukten abhob, bauten sie es an einem Wochenende wieder ein und verbrachten die restliche Zeit damit die Grafik komplett zu überholen. Das Ergebnis haute Patrick Söderlund im Frühling 2017 vom Hocker. Selbige Demo präsentierte BioWares damaliger Chef, Aaryn Flynn, wenige Wochen später während EA’s E3 Pressekonferenz der Öffentlichkeit. Eine Demo, die nicht nur das Publikum überraschte, sondern ebenso die meisten BioWare Mitarbeiter. Denn Electronic Arts war es nicht gelungen, die Namensrechte für Beyond zu sichern. Weshalb ihr Spiel plötzlich in Anthem umgetauft wurde. Ein Titel, der selbst für das Entwicklerteam kaum Sinn machte. Was die damalige Darbietung jedoch von der Realität unterschied, war die vorangegangene Missionsauswahl und der Ladebildschirm. Denn die E3 Demo wechselte nahtlos vom Stadtgeschehen Fort Tarsis‘ in die Flugaction.
Auch wenn viele Dinge wie der Sturm lediglich vorgegaukelte Effekte ohne ein echtes System dahinter waren, wusste das BioWare Team an dem Punkt zumindest, worauf sie hin arbeiteten.

Trotz des Überraschungsmoments warf die E3 Demo gerade bei Mass Effect Fans eine große Frage auf. Wieso produzierte BioWare einen zweiten Science-Fiction Franchise, der Mass Effect Andromeda zum Verwechseln ähnlich sah? Aber zumindest die grausamen Gesichtsanimationen, welche Andromedas Veröffentlichung geplagt hatten, schienen der Vergangenheit anzugehören. Anthems Marktplatz und Charaktere wirkte nahezu lebensecht.
Nicht nur viele Messebesucher zeigten sich beeindruckt vom ersten Teaser. District 9 und Elysium Regisseur, Neill Blomkamp, ließ sich von Anthems Welt inspirieren und drehte einen „Conviction“ getauften Kurzfilm. Electronic Arts stufte ihn vorübergehend sogar als Teaser für einen möglichen Film ein. Es blieb letztlich jedoch bei dem vierminütigen Video, das fortan als Vorgeschichte für Anthem gehandelt wurde.

Die einen Monat nach der E3 folgende BioWare Montreal Entlassung, in Folge des Mass Effect Andromeda Releases, die Aussichten auf ein ähnliches Fiasko bei Anthem und der plötzliche Tod von Anthems Leitendem Designer Corey Gaspur, ließ in kurzer Folge zahlreiche BioWare Veteranen reiß aus nehmen. BioWares damaliger Geschäftsführer, Aaryn Flynn, gründete mit einigen weiteren BioWarians direkt nebenan die nordamerikanische Niederlassung von Improbable. Ebenso gingen Mike Laidlaw, der Creative Director von Dragon Age 4 und Matt Goldman, dessen künstlerischer Leiter. Denn ihr „Joplin“ Projekt wurde eingestellt, da nun jeder BioWarian bei der Fertigstellung von Anthem helfen musste.

Im August 2017, ein Jahr vor dem geplanten Release, verließ Anthem seine Pre-Production. Obwohl viele Elemente wie Missionsstruktur, die Fähigkeiten der Javalin-Anzüge, Beute und Story noch immer nicht finalisiert waren, half BioWare Austin von nun an bei der Produktion des Looter-Shooters. BioWares bisheriger Dragon Age Produzent, Mark Darrah, ersetzte fortan Jonathan Warner als Game Director. Star Wars The Old Republics Design Director, James Ohlen, erhielt den Posten von Anthems Narrative Director. Wodurch zumindest die Geschichte langsam Form annahm. Auch wenn sie nichts mehr mit der frühen Bermuda-Dreieck-Planung gemein hatte. Anthem erhielt eine ähnliche Story wie Mass Effect Andromeda. In welcher der Spieler den Überbleibseln der einstiegen Planetenschöpfern nachjagte. Außerdem holte Electronic Arts Casey Hudson von Microsoft zurück, um ihn die verbliebenen beiden Studios leiten zu lassen. Besonders die Führung und Entscheidungsfreudigkeit von Mark und Casey ließ Anthem nun deutlich schneller Form annehmen. Aber BioWare blieb gerade einmal ein Jahr, das Spiel zu vollenden. Hinzu kam Druck durch die Presse, welche Beispielsweise über Talentbäume berichteten, die es gar nicht mehr gab. Oder das EA Teams von Motive aus Montreal anreisen ließ, um Anthem zu bewerten. Dieser Druck sorgte dafür, dass erstmalig BioWare Mitarbeiter wegen Stress für Wochen oder Monate ausfielen. Weiteres BioWare Urgestein, wie Knights of the Old Republics leitender Schreiber Drew Karpyshyn oder James Ohlen verließen ebenfalls die Firma. Ersterer zog ins sonnige Kalifornien zu Fogbank Entertainment, während zweiterer ein neues Rollenspiel-Studio für Wizards of the Coast gründete.

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