Sledgehammer Games Kernteam folgte Glen Schonfield bereits seit Jahren auf Schritt und Tritt. Art Director Demetrius Leal lernte er beispielsweise bei EA Redwood Shores kennen und arbeitete dadurch gemeinsam mit Dead Space aus. Glen’s Freundschaft mit Creative Director Christopher Stone reichte sogar zu Gex: Enter the Gecko zwei Jahrzehnte zuvor zurück. Zwischenzeitlich arbeitete sogar Tochter Nicole unter ihm, die mit acht Jahren den ersten Weltraum-Horror spielte. Als Glen diesen fünfzig Mann verkündete, er wolle einen spirituellen Dead Space Nachfolger angehen und dafür ein neues Studio eröffnen, schlossen sie sich ihm erneut an. So gründeten Glen Schofield, Steve Papoutsis, Mark James, Stacey Hirata und viele mehr im Juni 2019 Striking Distance Studios in San Ramon, Kalifornien. Also lediglich 30 Meilen des bisherigen Sledgehammer Games Firmensitzes entfernt, auf der anderen Seite San Franciscos.
In einem zunächst behelfsmäßigen Büro arbeitete dieses 50-köpfige-Team innerhalb von acht Monaten die Charaktere, Monster und Austragungsorte ihres neuen Universums aus. Eine der ersten Wandlungen in diesem Prozess war die Loslösung von besagtem „Meteor Down“ Ursprung sowie der geplanten PubG Universum Verbindung und somit Wandel zu „Rancid Moon“, dem ursprünglichen Konzept Dead Space’s. Also das wofür fiktive Filmposter bereits in EA’s Weltraum-Horror warben. Denn als Experte auf dem Gebiet definierte Glen Horror durch fünf Säulen: Atmosphäre, Spannung, Brutalität, Menschlichkeit und Hilflosigkeit.
Nichts symbolisierte Hilflosigkeit und ein trostloses Setting besser, als auf einem entlegenen Planeten abzustürzen und dort in einem Gefängnis zu verenden. Deshalb entwarf das Team Protagonist Jacob als Piloten. Zunächst mit einem militärischen Hintergrund, später jedoch in Form eines Weltraum-Truckfahrers. Ein Mann mit einem gewöhnlichen Leben, der schlicht Geld für die Miete zusammenkratzte. Ähnlich wie Ellen Ripley (Alien) oder R.J. MacReady (The Thing). Die Namenswahl fundierte selbstverständlich auf der Bibel. Da Jacob der Sohn Isaacs war und somit an den Dead Space Protagonisten anknüpfte. Auf der Suche nach einem Leben-ermöglichenden Ort in unserem Sonnensystem stieß Glen auf Kallisto. Dem „toten Mond“ Jupiters, unter dessen Oberfläche heutige Wissenschaftler einen gigantischen Ozean vermuten.
Auch wenn der Großteil des Teams bereits an Dead Space mitwirkte und sie einen indirekten Nachfolger dazu produzieren zu versuchten, distanzierte Striking Distance sich absichtlich von Electronic Arts IP. Um das zu erreichen, erlernten sie das Horror-Konzept zehn Jahre später neu und schauten in Vorbereitung auf ihr nun Callisto Protocol genanntes Spiel Filme wie The Shining, Event Horizon, Pandorum, The Ring, Life, Prometheus oder 3 From Hell. In Hinblick auf das spätere Endprodukt gediehen jedoch Ridley Scott’s Alien und John Carpenter’s The Thing zu den einflussreichsten Quellen. Angelehnt an Alien sowie der Natur Kallisto’s versuchten sich Konzeptzeichner wie Joyce Xu zunächst an aquatischen Kreaturen. Aber mit dieser Wasserbasis distanzierten sich die Monstrositäten zu weit vom Menschen und somit der Empathie des Zuschauers. Die folgenden zweibeinigen Schöpfungen wirkten beinahe dämonisch und folglich zu intelligent. Glens Vision war vielmehr etwas geistesgestörtes wie Jason Voorhees (Friday the 13th). Schöpfungen mit denen Verhandlungen aussichtslos schienen. Zudem sollte der Spieler die Abwandlung vom Menschen erkennen können, weshalb sich die finalen Kreaturen-Konzepte an John Carpenter’s Werken anlehnten. Obendrein entdeckte der leitende Konzept-Designer, Jesse Lee, Blutwürmer. Bei diesen handelte es sich um reale Würmer, die ihren Rüssel nutzten, um Beute aufzuspüren. Deren ausgespuckte Flüssigkeit formte eine verzweigte organische Masse, die dem Geäst eines Baumes glich und optisch außerirdisch wirkte. Diese vom Team „Wormbarf“ getaufte Masse, sollte fortan unzählige Gänge des Spiels überziehen.
Während der Modern Warfare 3 Konzeption, Jahre zuvor, beging Glen einen Fehler. Er machte Vladimir Makarov und somit die Russen zum Feindbild des First-Person-Shooters. Eine Entscheidung die er zu tiefst bereute, als Activision ihn 2011 zur Promotion des Spiels nach Russland entsandte. Aus diesem Grund, versuchte er von da an stets fiktive Institutionen zu den Drahtziehern seiner Spiele zu machen. So verhielt es sich ebenso bei Callisto Protocol. 300 Jahre in der Zukunft angesiedelt, repräsentierte die United Jupiter Company (UJC) einen weder guten noch bösen, aber selbstverständlich gewinnorientierten Konzern. Dieser kolonisierte Jupiter Monde wie Europa oder Ganymed und errichtete ein Gefängnis auf Kallisto. Mit seiner Eiskruste spiegelte der zweitgrößte Mond Jupiters von vornherein eine ungastliche Atmosphäre wieder. UJC’s Gefängniskomplex übertrumpfte das jedoch bei weitem. Denn Demetrius Leal’s Künstlerteam kombinierte Baustile, die kaum abstoßender sein konnten. Sie orientierten sich an den schweren, bedrückenden und überhängenden Formen von brutalistischen Gebäuden wie der Geisel Library (University of California, San Diego) und vereinten diese mit Bowellismus, wie er z.B. im Lloyd’s of London Gebäude zu finden war. Bei zweiterem ging es darum, die Innereien der Gebäude nach außen offenzulegen. Im Falle besagten Lloyd’s Gebäudes erschien die Treppe beispielsweise wie die Wirbelsäule der Konstruktion. Für das Innere der Bauten kombinierte das Team diese Ästhetik mit Generative-Design. Einem KI-Algorithmus, welcher menschengemachte Formen in etwas beinahe organisches verwandelte und es so Alien-artig erscheinen ließ. Es verformte schlichte Gänge mit Säulen in ein visuelles Chaos.
Ähnliche Gebäudereferenzen nutzte Striking Distance ebenfalls für den inneren Aufbau des Black Iron Gefängniskomplexes. So folgte der allgemeine Zellenblock beispielsweise Jeremy Bentham’s „Panopticon“ Modellgefängnis in Kuba. Es bestach durch einen Wachturm in der Mitte, welcher freie Sicht auf sämtliche umgebenen Zellen bot. Performance-mäßig sollte das später ein Albtraum auf Konsolen wie der Playstation 4 werden, aber für den gefangenen Spieler begann der Albtraum bereits beim Erwachen. Wie bereits in den ersten Dead Space Abenteuern, sollten diese Örtlichkeiten Zerstörung von vorangegangenen Kämpfen widerspiegeln. Jedoch konnte das Entwicklerteam kaum während eines Aufstands in ein reales Gefängnis spazieren und dort alles haarklein dokumentieren. Deshalb stützten sie ihre Recherche hauptsächlich auf Berichte aus erster Hand und Dokumentationen. Die Schilderungen eines Gefangenen stachen dabei besonders heraus. Als er erstmalig ins Gefängnis gebracht wurde, erblickte dieser die Worte „No warning shots fired!“ an der Wand. Gesäumt von Einschusslöchern. Diese Referenz nutzte das Künstlerteam mehrfach, um die Glaubwürdigkeit ihrer Schöpfung zu steigern.