Zwei polnische Jugendliche machten aus einem Flohmarktstand mit Spielkopien, ein Vertriebsimperium, das sich gegen Digital-Rights-Management einsetzt und mit einem 800-Mitarbeiter-Stamm einige der aufwändigsten Videospiele unserer heutigen Zeit produziert. Aber wusstet ihr, dass CD Projekts The Witcher nicht das erste Witcher Videospiel war? Das es beinahe ein Warhammer Action-Rollenspiel geworden wäre? Geralt gar nicht als Spielfigur vorgesehen war oder sich in Witcher 3 der Wilden Jagd anschließen sollte? Nein, dann verfolgt nun die Geschichte von CD Projekt RED!
Vielen Deutschen kommt beim Gedanken an Polen, vermutlich als erstes gestohlen in den Sinn. Zahlreiche Polen-Witze legen es nahe. So ist es wenig verwunderlich, dass auch die Geschichte von CD Projekt mit etwas derartigem beginnt.
In der Nachkriegszeit des gespaltenen Deutschlands, war es den meisten Polen nicht möglich jenseits der Grenzen der DDR zu reisen und somit in den Genuss von westlichen Computern und deren Spielen zu gelangen. Marcin Iwinski hatte das Glück, dass sein Vater Produzent von Dokumentarfilmen war und dadurch problemlos in den Westen reisen durfte. Auf diese Weise kam Marcin schon in jungen Jahren in den Besitz eines Sinclair ZX Spectrums. Ihm gierte es nach Spielen, aber es mangelte an polnischen Computerspielgeschäften. Gleichzeitig gab es deshalb in Polen jedoch auch keine Gesetze, die das Kopieren von Computerspielen unter Strafe stellten. Deshalb wechselten an den Wochenenden auf Flohmärkten Spielkopien für ein paar Szloty den Besitzer. An einem anderen ZX 80 fand Marcin dort die Adresse eines Griechen, dem er in gebrochenem Englisch einen Brief schrieb. Marcin bat den ehemaligen Besitzer, ihm so viele Spiele wie möglich auf eine Kassette zu kopieren. Der Grieche kam dem tatsächlich nach und Marcin erhielt Imagine Softwares Target Renegade und einige weitere Spiele, die ihn am darauffolgenden Wochenende auf dem Flohmarkt zum Superstar machten.
Selbiger Erfolg war Marcin jedoch nicht bei seinem Computerkurs an der Hochschule vergönnt. Er fiel durch und landete so stattdessen in einem Kurs für mathematische Physik neben Michal Kicinski. Michal verkaufte genau wie Marcin ebenfalls Spiele, nur für die damalige Atari 400er und 800er Reihe. Die Beiden freundeten sich an und begannen gemeinsam Disketten auf Flohmärkten und aus ihrem Auto heraus zu verkaufen. Bis eines Tages die CD-ROM erschien und den Markt durch die schiere Datenmenge revolutionierte. Derart fasziniert von dem neuen Medium, gründete das Duo 1994 mit umgerechnet gut 3.000 DM eine eigene Firma, die sie CD Projekt nannten. Sie begannen vom Wohnzimmer aus CD-ROM Software aus den USA zu importieren und in Polen zu vertreiben. Was kurze Zeit später zum ersten offiziellen Vertrag mit American Laser Games führte. Weitere Vertriebsrechte für Spiele von Acclaim, Blizzard, Blue Byte, Interplay und Psygnosis folgten.
1996 brachte ihre Firma die ersten Spiele mit polnischen Verpackungen und Handbüchern heraus. Was heutzutage normal (oder schon wieder überholt) klingt, war damals ein Riesenschritt.
Mit dem Erscheinen von BioWares erstem Rollenspiel, Baldur’s Gate, führte das 1999 zur ersten polnischen Übersetzung und Synchronisierung eines Computerspiels. Es kostete sie 33.000 Euro an Lizenzgebühren und noch mal fasst genau so viel für die Übersetzung. Mit 30 Euro war es fasst doppelt so teuer wie die Spiele, die CD Projekt normalerweise anbot. Aber Baldur’s Gate umfasste auch fünf CDs. Wodurch selbst die Raubkopien auf den Flohmärkten nicht für unter 15 Euro zu haben waren. In den drei Monaten vor der Veröffentlichung stiegen die Vorbestellungen bereits von 5.000 auf 8.000 Exemplare. Das Duo musste sogar ein extra Lagerhaus anmieten und verkaufte am ersten Tag stolze 18.000 Exemplare. Womit bewiesen war, dass die polnische Bevölkerung durchaus gewillt war für qualitativ hochwertige Spiele zu zahlen. Dieser Durchbruch sicherte dem CD Projekt Team weitere Rechte für Diablo 2 sowie Baldur’s Gate 2 und ließ sie zusätzlich zum polnischen Vertrieb für Atari, Cryo, Konami, Microsoft, Sega, Ubisoft uvm. werden.
Doch es war erneut Interplay, die CD Projekt zum nächsten Schritt brachten. Feargus Urquhart, damals der Leiter von Interplays Rollenspiel-Abteilung, den Black Isle Studios, wollte, dass sie Baldur’s Gate: Dark Alliance in Polen vertrieben. Aber Dark Alliance war ein Konsolenspiel und in Polen gab es Kaum Spiel-Konsolen, ganz im Gegensatz zu PCs. Also schlug Feargus vor, sie sollten es selbst auf den PC konvertieren. Mit ihrem typischen Unternehmergeist willigten Marcin und Michal ein. Sie schmuggelten ein Playstation 2 Entwickler-Kit von Interplays Büro in London nach Warschau und nahmen die Aufgabe in Angriff.
Michal und Marcin waren zwischenzeitlich zwar erfolgreiche Geschäftsleute, aber weiterhin keine Programmierer und ganz Polen war nicht gerade für seine grandiosen Spiele-Entwickler berühmt. Der einzige freie polnische Programmierer, von dem es jemals ein Spiel in den Westen geschafft hatte, war Sebastian Zielinski. Er hatte 1996 auf dem Amiga Project Intercalaris und 1999 das Wolfenstein 3D Ripoff Mortyr für den PC geschrieben. Marcin und Michal warben Sebastian an, um auf Basis seiner Calaris-Engine Dark Alliance zu realisieren. Da Sebastian aus dem 130 Kilometer südlich von Warschau gelegenen Lodz kam, mieteten sie dort zwei Büroräume an und tauften das Studio CD Projekt RED. Rot war die Wappenfarbe der Stadt Lodz. Als damalige Textilproduktionshochburg Polens, wurde das erste Firmenlogo entsprechend eine rote Fabrikanlage. Die beiden Gründer stellten Programmierer Sebastian Zielinski drei Designer zur Seite und die Arbeit an Dark Alliance für den PC begann.
Dann trat jedoch ein unvorhergesehenes Problem auf. Sechs Monate nach Entwicklungsbeginn, steuerte Interplay auf den Konkurs zu, wurde von Titus aufgekauft und CD Projekt verlor den Baldur’s Gate: Dark Alliance Auftrag. Das CD Projekt RED Team brainstormte, was sie aus dem angefangenen Spiel machen könnten. Der damalige Projektleiter Ryszard Chojnowski, der für CD Projekt bereits in verschiedenen Ländern an polnischen Rollenspiel-Übersetzungen gearbeitet hatte, schlug vor stattdessen ein bekanntes Games Workshop Universum wie Necromunda oder Mortheim zu lizenzieren.
Kurz zuvor, Anfang 2002, startete in Polen mit „Idea“ ein neuer Mobilfunkanbieter, der ein The Witcher Pen & Paper Rollenspiel per SMS anbot. Wie in alten Text-Adventures schickte der Spieler ein Kommando per SMS ab und bekam die Beschreibung der Ereignisse zurück. Das erinnerte das Team an Andrzej Sapkowskis Witcher Romane, die nicht nur Marcin und Michal in ihrer Schulzeit geliebt hatten.
The Witcher, drehte sich um eine gleichnamige kleine Gruppe von Menschen, die durch einen häufig tödlichen Mutagentrunk anhaltende übernatürliche Kräfte erhalten hatten. Obwohl die Witcher mit Stahl- und Silberschwert die menschlichen und übernatürlichen Monster der Welt jagten, wurden sie wegen ihrer Art von den meisten Leuten als Mutanten bezeichnet und gehasst.