Sierra On-Line – Ken und Roberta Williams‘ Grafik-Adventures

by Pandur

Der Durchbruch wirkte sich augenblicklich auf Sierras Börsenkurs aus. Er stieg um stolze 73 Prozent. Allein im Quartal der Veröffentlichung machte Sierra einen Gewinn von 3,26 Millionen Dollar. Ihr Jahresumsatz 1995 belief sich auf 15,7 Millionen Dollar in Europa und 60,7 Millionen in Nordamerika. Gabriel Knight Designerin Jane Jensen belegte augenblicklich das neue Studio für den zweiten Teil ihrer Serie The Beast Within. Sierra hatte die Adventures in eine neue glorreiche Zukunft geführt.
Ken Williams nutzte das neu gewonnene Kapital hingegen sofort um weitere Studios Sierras Firmenstamm zuzuführen. Er kaufte das Microsoft Flight Simulator Studio subLOGIC, welches er mit Dynamics vereinte. Dann die Papyrus Design Group, welche für IndyCar Racing und Nascar Racing bekannt waren und zu guter Letzt Impressions Games, die Sierra mit Ceasar II direkt den nächsten Hit bescherten. Es verkaufte sich schon im ersten halben Jahr 400.000 Mal und stieg später auf 2,5 Millionen Verkäufe. Ken Williams war der geborene Geschäftsmann. Was er anfasste wurde zu Gold.

Logischerweise wollte Ken, dass sich Roberta sofort an Phantasmagoria II machte. Aber sie entschied sich stattdessen für King’s Quest VIII, was in Kens Augen ebenfalls eine Gelddruckmaschine war. Deshalb teilte Ken den Phantasmagoria Nachfolger Lorelei Shannon zu. Zur gleichen Zeit trat ein anderer amerikanischer Milliardär an Ken heran. Walter Forbes hatte über die letzten 25 Jahre hinweg ein Mitgliedschaftssystem aufgebaut, das seine damals rund 40 Millionen Abonnenten durch die erzielten Mengenrabatte günstig an Reisen, Autos und sämtlichen anderen Shopping Kram kommen ließ. CompuServe war ein kleiner Bestandteil von CUC Internationals Firmenzusammenschluss und Ken’s Internet Provider Experimente hatten Walter Forbes erstmalig auf Sierra aufmerksam gemacht. Forbes Vision, die er Ken vermittelte, war die bereits erfolgreichsten Videospielefirmen der USA LucasArts, Broderbund, Davidson und Sierra zum Weltgrößten Softwarehersteller zusammenzuschließen. Selbst wenn keiner der anderen zugestimmt hätte, wäre es in Kens Augen bereits ein Gewinn gewesen, denn er hätte Zugriff auf CUCs Marketingapparat gehabt und somit 40 Millionen zusätzliche Kunden erreicht. Tatsächlich schaffte es Walter Forbes nicht LucasArts und Broderbund ins Boot zu holen, aber CUC International übernahm am gleichen Tag Sierra für 1,06 Milliarden Dollar und Davidson für 1,1 Milliarden. Davidson Associates mag nicht jedem sofort ein Begriff sein, aber sie waren tatsächlich überaus erfolgreich mit ihrer Lernsoftware, womit sie auch gut in Kens Plan passten. Außerdem zählte zu ihnen eine weitere kleine kalifornische Firma namens Blizzard Entertainment.
Ken Williams Abkommen mit Walter Forbes war es gewesen, dass er zum stellvertretenden Vorsitzenden der neuen Firma würde. Neben ihm würde es nur den Präsidenten der Firma und einen COO geben. Zudem sollte ein Aufsichtsrat gebildet werden, in dem Sierra zwei der vier Sitze zustanden. Doch direkt nach der Übernahme, wurde Ken als CEO von Sierra abgesetzt. Stattdessen übernahm Davidson den kompletten Distributionsapparat. Von Sierra blieben nur die Entwicklungsstudios bestehen.

Die neuen Besitzer, der nun Cendant Software betitelten Firma, hatten die Teams befragt, ob sie ohne Ken zurecht kämen und alle hatten mit vollster Zufriedenheit ja gesagt. Ken hatte zugegebenermaßen stets recht strenge Regeln gehabt, was Budgets, Team-Besetzung usw. anging. Außerdem hatte beinahe jeder eine Projektidee, die er realisieren wollte und die Ken nie genehmigt hätte. Ohne ihn konnten sie machen, was sie wollten und ließen ihrer Kreativität freien Lauf. D.h. Nicht alle konnte das. Lorelei Shannon bekam mit ihrem Phantasmagoria II ein gewaltiges Problem. Als Davidsons Marketingabteilung von einen Horrorfilmartigen Spiel für Erwachsene Wind bekam, wollten sie es sofort einstellen. Sie hatten kein Interesse ihren Stammkunden von Walmart, Toy’R’Us usw. erklären zu müssen, wieso die plötzlich ein R-Rated Game neben die Kinderprodukte stellen sollten. Statt es einzustellen, musste Loreilei es radikal umgestalten, was effektiv zum Ende von Sierras neustem Flaggschiff führte.

Ein ähnliches Schicksal ereilte King’s Quest VIII. Gut ein Jahr bevor Roberta mit der Entwicklung begann und die Phantasmagoria 1 Produktion noch auf vollen Touren lief, hatte sie den Entschluss gefasst King’s Quest VIII zu einem 3D Spiel zu machen. Die Antriebskraft dafür war Doom gewesen, was damals jeder spielte. Deshalb sollte das nächste King’s Quest ein Multiplayer 3D Spiel werden. Es sollte über Internet Spielbar sein und den Teilnehmern die Möglichkeit geben magische Gegenstände untereinander auszutauschen. Doch die Entwicklungszeit dafür entpuppte sich als zu lang, schließlich hatte das Spiel weiterhin ein klares Budget. Beim dritten Designansatz kam das 3D Adventure zu Tage, was letztlich veröffentlicht werden sollte. Es kann eher als die Fantasy-Mischung der bisherigen Adventures und Tomb Raider beschrieben werden. King’s Quest: Mask of Eternity beinhaltete viele Action-orientierte Puzzles, die nur in einer 3D Welt möglich waren. Sie basierten auf Physik, Steine werfen, Springen oder Klettern. Um die Phasen zwischen den Puzzles nicht langweilig werden zu lassen, schlug Co-Designer Mark Seibert vor zusätzlich Kämpfe, Gesundheitsgegenstände und Waffen einzubauen. Generell schienen sich die beiden Designer Mark und Roberta ständig uneinig zu sein, wie das Spiel aussehen sollte und was als nächstes entwickelt würde. Hinzu kamen Davidsons Bedenken, die King’s Quest VIII frei von Kämpfen, Gewalt und möglichen religiösen Themen halten wollten. Sie mischten sich derart stark ins Design ein, dass parallel eine Sierra und eine Davidson Version gedieh.
Früher konnte Ken seine schützende Hand über Roberta halten und dem Team diktieren, dass ihr Wort Gesetz sei. Aber in seiner neuen Rolle als Berater, waren Ken die Hände gebunden. Eines Tages hatte Roberta genug. Als die Charakterinteraktion nicht so implementiert wurde, wie Roberta sie es vorgestellt hatte und es immer weiter in Richtung Rollenspiel statt Adventure abdriftete, wollte Roberta ihren Namen vom Spiel entfernt haben. Das hörte die Marketing-Abteilung selbstverständlich nicht gerne, denn der Name Roberta Williams war der Erfolgsgarant der Serie. Roberta bekam das letzte Wort. Aber zu dem Zeitpunkt hatte King’s Quest 8 bereits mehrere gute Mitarbeiter verloren, unzählige Veränderungen durchgemacht und das Budget neigte sich dem Ende entgegen. King’s Quest: Mask of Eternity erschien im Dezember 1998 mit dem Namen Roberta Williams auf der Packung. Laut Robertas eigener Aussage verkaufte es sich doppelt so gut wie LucasArts Grim Fandango. Angeblich überschritten die Verkäufe 2002 750.000 Exemplare.

Für Roberta und Ken Williams war es das Ende der Sierra Geschichte. Roberta nahm in direkter Folge des Releases ihr Sabbatjahr und verließ Sierra anschließend zusammen mit Ken, der bis dahin noch als „Strategischer Berater“ geführt wurde.
Wer sich nun fragt, warum Ken eigentlich nicht gerichtlich gegen CUC International vor ging, dem sei gesagt, dass bereits ein Gerichtsverfahren viel größeren Ausmaßes gegen CUC und Walter Forbes wegen Betruges lief. CUC hatte die eigenen Gewinne der drei Jahre vor der Übernahme von Sierra und Davidson um ca. eine halbe Milliarde frisiert. Wofür Forbes selbst zu 12 Jahren Gefängnis und Schadensersatzzahlungen in Höhe von 3,275 Milliarden Dollar verurteilt wurde. Das ließ logischerweise auch Cendant Softwares Börsenkurs einbrechen. Bei Sierra begann kurz nach der King’s Quest 8 Veröffentlichung, im Februar 1999, die erste Entlassungswelle. 250 Mitarbeiter verloren am 22. diesen Monats ihren Job. Die Studios wurden eines nach dem anderen geschlossen oder an Dritte verkauft. Was von Sierra übrig blieb, gehört heute zu der Activision Blizzard Gruppe.

Einzelnachweise:

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