Origin Systems – Richard Garriotts Ultima und die Evolution der Rollenspiele

by Pandur

Als klar wurde, dass Origin System nicht nur ein Schuss ins Blaue, sondern ein Erfolg war, bat Robert, der nun bereits vier Monate zwischen Houston und North Andover pendelte, Richard um einen großen Gefallen: Nach New England umzuziehen, wo Roberts Frau Marcy in AT&Ts Bell Laboratory arbeitete. Mit zwei voll beladenen Umzugswagen zog Origin Systems im Winter 1983 in die gefrorene Wüste um. Zusammen mit ihrem neuen Firmensitz kam ein Vertriebsvertrag mit Electronic Arts. Origin System wurde nun ein EA Affiliated Label und ihre Spiele schafften somit den Durchbruch auf den Massenmarkt, da Supermarktketten wie Toys „R“ us oder Walmart sie ins Sortiment aufnahmen. Dieser Punkt bedarf möglicherweise ein wenig Erklärung. In der damaligen Zeit, vor der Etablierung reiner Videospielhändler oder gar digitaler Vertriebsplattformen wie Steam, wurden Computerspiele in normalen Supermarktketten und anderen Warenhäusern verkauft. Diese Warenhäuser wollten aber nicht mit sämtlichen Spieleherstellern verhandeln. Was bedeutete, Obwohl Origin die nächsten Jahre auf Platz 10 der Top-Videospielefirmen zählte, wollten Läden wie Toys’R’us nur mit der Top 3 oder Top 5 verhandeln. Wodurch Origin Spiele ohne einen Branchenriesen wie Electronic Arts gar nicht in die Ladenregale kamen.

In der Zwischenzeit hatte sich Chucks Caverns of Callisto als finanzieller Fehlschlag erwiesen. Was Origin jedoch nicht davon abhielt neue Spielkonzepte neben Ultima zu versuchen. Richard trat wieder mit Brettspielehersteller Steve Jackson Games in Kontakt, den er aus seiner Austiner Studienzeit kannte und sicherte sich die Rechte an „Car Wars“. Chuck verwandelte das Rundenbasierende Brettspiel in ein Echtzeit Rollenspiel namens Autoduell.

Richard hatte wie üblich augenblicklich nach Release seines Spiels mit dem nächsten Ultima begonnen. Statt dem angestrebten Weihnachtsgeschäft von 1984 zog sich seine Einzelgänger-Programmierung dieses Mal jedoch bis September 1985 hin. Was unter anderem an der Größe des Spiels und der neuen Technik lag. Ultima IV’s größere Weltkarte bestand aus 256×256 Bausteinen. 16 Mal so groß wie Ultima III’s 64×64 Welt. Sie konnte nun mit Pferden, Schiffen und anderen Fortbewegungsmitteln bereist werden. Es bekam eine komplette Parser basierende Engine für Unterhaltungen, ähnlich den Sierra Adventures. Was bedeutete, der Spieler versuchte ständig neue Wörter einzugeben, die möglicherweise Hinweise in Sätzen seines Gesprächspartners gewesen waren. Multipliziert das mit den 16 Städten und Burgen des Spiels, die mit Dutzenden Charakteren gefüllt waren und der Umfang von Ultima IV nimmt langsam Gestalt an. Zudem erforderten Zauber nun Reagenzien zum Wirken. Was bedeutete, es mussten zunächst Rezepte sowie die Zutaten gefunden werden. Allein einen bekannten Zauber für ein Dungeon vorzubereiten, dauerte bereits zehn Minuten. Was quasi zu einem Mini-Spiel im Spiel wurde. Dungeons umfassten in Ultima IV Räume, die jetzt eine Taktik-Karte öffneten. Aber der größte Unterschied, gegenüber den vorherigen Ultimas, bei denen der Spieler meist mordend durchs Land zog und jeden beraubte, war Richards Plan, keinen Oberbösewicht ins Spiel zu bringen. Stattdessen sollte sich Ultima IV darum drehen ein besserer Mensch zu werden, ein Avatar of Virtue. Dieses Konzept hing damit zusammen, dass Richard zur Zeit von Ultima 1 und 2 nie Feedback der Spieler erhalten hatte. Durch die Selbstveröffentlichung über Origin Systems, erreichte Richard nun Fan-Mail der Ultima 3 Spieler. Dieser Anregungen und Beschwerden nahm sich Richard an. Da einige Schreiber im sogar Teufelsanbetung unterstellten, suchte sich Richard ein Konzept von 16 Attributen raus, was er vom Hinduismus oder genauer gesagt vom Hindu Yoga ableitete. Bei dem es 16 Wege gab den eigenen Körper zu reinigen. Wobei Richards Version des Hinduismus mal wieder mehr eine D&D Variation war. Entsprechend mussten im Spiel große Heldentaten vollbracht werden. Die letzte sogar auf der neunten Ebene von Dantes Inferno. Natürlich wandelte sich das Konzept im Laufe der Entwicklung ein Wenig. Letztlich blieben 8 Tugenden übrig und Dantes Inferno verwandelte sich in Ultimas Stygian Abyss.
Durch diese Tugenden begann Ultima 4 vollkommen anders. Statt einem Charaktereditor für eine ganze Gruppe, startete es mit einer Geschichte über den Spieler. Eine Zigeunerin stellte dem Spieler Fragen über ethische Probleme. Sie bestimmten nicht das Volk oder die Klasse des Charakters, sondern seine acht Tugenden (engl. Virtues): Ehrlichkeit, Mitleid, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Aufopferung, Ehre, Spiritualität und Bescheidenheit. Jede Tugend hatte das Ziel einer Erleuchtung. Wofür der Spieler eine Rune sowie ein Mantra finden und damit am Schrein der jeweiligen Tugend meditieren musste. Erlangte der Spieler Erleuchtung in allen acht Tugenden wurde er zum Avatar. Als solcher musste der letzte Hort des Bösen von Britannia, der Stygian Abyss, betreten und dort der Codex of Ultimate Wisdom gefunden werden. Britannia war ab diesem Spiel Richards Nachfolger zu Sosaria, was von Lord British, nach den drei Zeitaltern der Dunkelheit vereint wurde – damit sind Ultima 1 bis 3 gemeint. Statt eine Marionette zu sein, erlaubte Ultima 4 dem Spieler seine persönliche Erfahrung zu bestimmen und eigene soziale Verantwortung zu zeigen. Entsprechend überwachte Ultima 4 die Handlungen des Spielers. Stahl er Reagenzien für Zauber im Magie-Geschäft, verlor der Charakter Ehrlichkeit. Rannte er vor einem Kampf mit Banditen davon, sank seine Ehre. Bettlern etwas Geld zu spenden, steigerte seine Mitleid Tugend usw.
Richard verpackte das Spiel erneut in einer großen Schachtel, mit zwei aufwändig gestalteten Handbüchern, der mittlerweile zum Markenzeichen gewordenen Stoffkarte und einem Kreuz Anhänger. Dieser war quasi eine optische Bestätigung des Weges des Avatars, den Spieler im richtigen Leben als Aushängeschild um ihren Hals tragen konnten. Origin Systems schlug den Geschäften für Ultima IV einen Listenpreis von 50$ – 55$ vor, was 20$ über dem Normalpreis von Spielen lag. Dennoch oder gerade weil es etwas extrem besonderes war, verkaufte sich Ultima IV sehr gut. Im Verlauf der nächsten vier Jahre kam es auf mehr als 400.000 Verkäufe.

Während der 25-jährige Richard sich im Ruhm seiner Meisterwerke suhlte und immer mehr in die Rolle des mittelalterlichen Lord British abdriftete, musste sich sein großer Bruder Robert mit der Vermarktung beschäftigen, Verträge aushandeln und für die Öffentlichkeit ein seriöses Firmenimage wahren. Drei Jahre zuvor hatte Richard Robert versprochen in den kühlen Weiten von New Hampshire zu bleiben. Robert hatte gehofft, in der Zeit würde sich etwas ändern. Vielleicht hätte seine Frau Marcy einen neuen Job bekommen oder Richard sich mit der Umgebung angefreundet. Aber nichts dergleichen war geschehen, als die drei Jahre vorüber waren. Selbstverständlich wollte Robert nicht zu einer Fernbeziehung mit seiner Frau zurückkehren und ähnlich sah das vermutlich die Mehrheit ihrer knapp 50 Angestellten, die sie in New England angesammelt hatten. Deshalb beschloss Robert eine Firmenweite Abstimmung zum Origin Firmensitz zu machen. Die ganzen Neuengländer überstimmten natürlich die wenigen Texaner, was Richard so richtig verärgerte. Der Streit der Garriott Brüder wurde letzten Endes durch ihre Eltern geschlichtet. Das Ergebnis war, dass Richard in Austin ein Studio rein zur Programmierung neuer Spiele eröffnete und der Rest der Firma, also der gesamte Vertrieb und eine kleine Portierungen-Programmierer-Mannschaft in New Hampshire blieb. So entstand Anfang 1987 ein kleines Büro mit 15 Schreibtischen in Austin. Wo sich der langsam wohlhabend werdende Lord British eine stylische, Britannia Manor getaufte, Burg bauen ließ. Komplett mit Weinkeller, unterirdischen Höhlen und Geheimtüren. Für Richard stand Bombenfest, dass er dort nicht mehr weggehen würde. Erstaunlicherweise war es obendrein eine der besten Geschäftsentscheidungen von Origin Systems. Denn Texas hatte extrem niedrige Steuern und da es dort bis zu dem Zeitpunkt keine konkurrierenden Videospielefirmen, wie an der Ost- oder Westküste gab, rannten ihnen die Stundeten der umgebenen Universitäten die Bude ein. Es dauerte nicht lange, bis das Austiner Studio größer war als das in New Hampshire. Gut ein Jahr später, gab Marcy nach und das Paar zog ebenfalls zu Richard in Austin.

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