Mit den gewonnenen Millionen und nun wieder ohne eigenes IP, hätten sich die Finnen zur Ruhe setzen können. Und tatsächlich nahmen sie sich einige Monate Auszeit von der Max Payne 2 Crunch Time. Erst im Verlauf des folgenden Jahres arbeiteten sie verschiedene neue Konzepte aus. Für die Eckpfeiler besannen sie sich auf bewehrte Elemente von Max Payne: Ein hartgesottener Hauptcharakter, dessen Name Titel des Spiels war, eine kaputte Familie und Schuld als Motivator, alles wieder in Ordnung zu bringen. Auch die beidhändige Bewaffnung von Max Payne floss in ihr neues Projekt. Doch statt zwei Pistolen, gewann ihr neuer Held, Alan Wake, eine Pistole und eine Taschenlampe. Denn die Grundidee war, eine „Licht und Dunkelheit“ Mechanik die Geschichte des Spiels erzählen lassen. Während diese Idee bis zum Release durchhielt, war das zweite anfängliche Ziel, eine Mischung aus Silent Hill und Grand Theft Auto zu erschaffen. Hauptsächlich weil Open-World-Games zu der Zeit der neuste Schrei waren. Eine lizenzierbare Engine für diese Anforderungen gab es nicht, weshalb Remedy erneut die gesamte Technologie, mit ihrem kleinen, mittlerweile 45 Mann starken, Team selbst programmierte. Um Alan Wake möglichst viel Authentizität verleihen zu können, fuhr das Team zur Recherche rund 3.000 Meilen des Nordwestpazifik ab, schoss dort über 60.000 Fotos und campte sogar in der Wildnis, um das richtige Flair sowie Umgebungsgeräusche einzufangen.
Unglücklicherweise passte das Open-World-Konzept letztlich nicht zum Erzählstil des Spiels. Alan Wake lebte sechs Monate als Sandbox Game, bis Remedy beschloss den Bewegungsspielraum einzuengen, um die Atmosphäre gezielter steuern zu können. Eine gute Entscheidung in Anbetracht des Ergebnisses. Alan Wake wurde ein Supernatural Thriller, bei dem der Spieler von Schattenhaften Gestalten angegriffen wurde, die nur verletzlich wurden, wenn Licht auf sie schien. Fürs Setting orientierte sich Remedy an „Twin Peaks“, sowie Horror Szenarien aus Alfred Hitchcock Filmen wie „Die Vögel“. Die Inspiration der Story bezog Sam Lake hingegen aus der Psychothriller-Serie „Address Unknown“. Der Charakter Alan Wake war ein Schriftsteller, der Kriminalgeschichten mit hartgesottenen Polizisten schrieb. Ganz genau wie Max Payne einer war. Auch Alan Wake kämpfte gegen seine inneren Dämonen, doch für ihn wurde diese Fiktion real. Entgegen dem Comic-Erzählstil von Max Payne verwendete das Spiel einen Roman als Erzählung. Ein Erzähler beschrieb Alans Aktionen und gleichzeitig fand der Spieler Seiten seines eigenen Manuskripts, das den Verlauf der aktuellen Szene wiedergab. Der Spieler lebte in einer wahr gewordenen Geschichte des Übernatürlichen.
Remedy ließ ferner die Struktur einer Fernsehserie einfließen. Alan Wake umfasste sechs Episoden, die eine Season sein sollten. Nach jeder abgeschlossenen Episode, folgte vor der nächsten die typische Zusammenfassung, welche den Spieler rekapitulieren ließ, was er die Stunden zuvor erlebt hatte. Genau wie in Max Payne setzte das Spiel ebenso Live-Action Fernsehsendungen in der Spielwelt ein, um die Story zu verdichten. Auf Fernsehern liefen Episoden von „Writer in the Cabin“, was Alans persönliche Geschichte war und „Night Springs“, einer „Twilight Zone“ mäßigen Serie, für die Alan als Autor tätig gewesen war.
Das Spiel begann damit, dass Alan zusammen mit seiner Frau Alice, in das kleine Bergdorf Bright Falls fuhr, um seine Schreibblockade zu bewältigen. Während der Fahrt schlief Alan ein und träumte von einem Unfall. Er fuhr jemanden an, dessen Leichnam sich dann auflöste. Auf dem Weg zu einem nahegelegenen Leuchtturm traf er auf Schattengestalten, die versuchten ihn mit Äxten zu attackieren. Als Alan aus dem Traum erwachte, war nichts dergleichen passiert. Er war schlichtweg in Bright Falls angekommen. Aber kurz nachdem die beiden das Haus erreichten, verschwand Alice und für Alan vermischte sich langsam das reale Bright Falls mit dem fiktiven Nights Springs aus seinen Geschichten.
Nach dem guten Zusammenspiel von Musik und Story in Max Payne, wirkten auch die „Poets of the Fall“ wieder am Spiel mit. Dieses Mal steuerten sie nicht nur zwei Geschichtsträchtige Songs bei, sondern übernahmen ebenso Rollen im Spiel. Als Mitglieder der 60er Rockband „Old Gods of Asgard“ traf Alan sie mehrfach auf seinem Weg.
Remedy Entertainment finanzierte den Beginn der Entwicklung mit rund sieben Millionen Dollar selbst, bevor sie einen Vertriebsvertrag mit Microsoft abschlossen und diese die weiteren Kosten übernahmen. In Folge dessen erschien Alan Wake nach sechs Jahren Entwicklungszeit im Mai 2010 exklusiv für die Xbox 360. Es war laut Umfragen das am heißesten erwartete Spiel 2010. Aber die Verkaufszahlen entwickelten sich im Verhältnis zur Produktionszeit und den lobenden Bewertungen sehr schlecht. Alan Wake verkaufte sich in den ersten zwei Wochen gerade mal 145.000 Mal. Dafür wurde es gleichzeitig das zweitmeist raubkopierte Xbox 360 Spiel. Nach anderthalb Jahren erreichten die Verkaufszahlen gerade Mal 1,4 Millionen Exemplare und das bereits einschließlich Sonderangeboten.
Remedy verlor dadurch sein zweites Gründungsmitglied. Petri Järvilehto, der als leitender Designer bei Death Rally, Projektleiter bei Max Payne und dann Creative Director des Studios agiert hatte, wechselte als Executive Vice President zum finnischen Rovio Entertainment. Das zu dem Zeitpunkt gerade mal 30-köpfige Team hatte soeben Angry Birds ausgeliefert. Aber zu dem Zeitpunkt wusste noch niemand, was für ein Hit es werden würde. Petri wurde verantwortlich für die Spiele-Entwicklung und wollte Angry Birds eigentlich in ein Konsolen-Projekt verwandeln. Aber stattdessen lernte er schnell, wie populär es auf den mobilen Geräten wurde. Er baute die Entwicklungsabteilung aus und produzierte Ableger wie Angry Birds Rio, Angry Birds Space oder Angry Birds Star Wars. Sie erreichten insgesamt 1,5 Milliarden Downloads und Rovio wuchs unter Petris Leitung auf stolze 750 Mitarbeiter an.
Im Gegensatz zur Max Payne Geschichte, die für ein Spiel und nicht mehr konzipiert gewesen war, hatte Remedy Alan Wake von Anfang an als fortlaufende Serie geplant. DLCs waren angedacht, die als Cliffhanger für „Season 2“ dienen sollten und der Prototyp von Alan Wake 2 ging im direkten Anschluss in Produktion. Es spielte in der Wüste Arizonas, die aber nie als Szenario für Alan Wake 2 vorgesehen war. Alan kämpfte darin weiterhin mit Licht gegen Schatten, die von Mr. Scratch geschickt wurden, Alans teuflischem Zwilling. Remedys Prototyp-Engine bot deutlich mehr Umgebungsinteraktion. Gegner kletterten sehr natürlich über Objekte wie Autos, rissen Türen ab und verwendeten sie als Schutzschild. Der Spieler konnte ebenso großen Einfluss auf die Umwelt nehmen. Abgesehen von Gasflaschen, die sich mit den verschiedenen Waffen in die Luft jagen ließen, durfte Alan mit seiner Fiktion die Realität ändern. Vom Spieler gefundene Manuskriptseiten ließen sich umschreiben und so die Umgebung manipulieren. Neu erfundene Objekte entstanden zunächst schemenhaft, wie die Dämonen, und manifestierten sich, sobald der Spieler sie anleuchtete. Auf diese Weise sollten ebenfalls Geschichten anderer die Realität verändern. Alan sah z.B. im Fernsehen ein Ufo ankommen und im nächsten Moment, wurde das ganze Gebäude mit ihm vom Traktorstrahl eines Ufos aus dem Boden gerissen.
Um den Nachfolger nach ihrem Ermessen gestalten zu dürfen, hatte Remedy Entertainment bei den Verhandlungen mit Microsoft explizit darauf bestanden, sämtliche Rechte an Alan Wake zu behalten. Doch dank der hohen Kosten und dem geringen Einspielergebnis des ersten Teils, lehnte nun jeder Publisher, an den sie sich wandten, ab. In Folge dessen entstanden aus Alan Wake 2 zwei Dinge. Zunächst der 2012 erschienene Alan Wake DLC Spinn-Off American Nightmare. Es verwendete eine Vielzahl von Elementen des Alan Wake 2 Prototyps, wie z.B. das Hotel, in dem Alan seinen Verleger Barry zu Beginn fand, Feinde, die sich als Vogelschwärme manifestierten oder das gesamte Konzept des übernatürlichen Serienmörders Mr. Scratch. Welcher wiederum auf dem „Address Unknown“ Charakter John Mirra basierte. American Nightmare war jedoch eher wie eine Episode von „Night Springs“ gestaltet, also Zwischensequenzen bestehend aus Live-Action Szenen. American Nightmare hielt den Spieler dabei in einer Zeitschleife gefangen, der Alan erst beim dritten Durchlauf entkam, indem er im Kino eine neue Realität erschuf.