Sensible Software brachte weiterhin verschiedene Championship und Jahres-Editionen von SWOS auf den Markt, während die Bitmap Brothers ihr Publishing Label, Renegade, 1995 an Warner Bros Interactive verkauften. Warner Brothers wollte zu der Zeit auf dem Videospiele-Sektor Fuß fassen und bot Sensible Software einen Vertrag über drei Spiele an, für die sie drei Millionen Pfund bekommen sollten. Die höchste Summe, die Jon und Chris je geboten wurde! Das Problem war nur, dass der Amiga sowie Atari ST ihre Lebensdauer längst überschritten hatten. Sonys Playstation und Segas Saturn waren aktuell die Wunsch-Plattformen der Publisher, gefolgt vom PC und selbstverständlich war 3D das Zauberwort. Der Wechsel vom C64 auf den Amiga war dem Duo früher leicht gefallen. Die PC Programmierung hatten sie ignoriert, denn sie wollten immer sofort ihr nächstes Spiel machen, wenn sie mit einem fertig waren. Die tatsächlichen PC Portierungen hatten sie deshalb bei Audio Visual Magic in Auftrag gegeben und so machten sie sich wenig Gedanken über das Problem, was vor ihnen lag. Ihre Idee war es, einfach begabte 3D Künstler und Programmierer anzuheuern. Aber der 3D Sektor war bereits zwei Jahre zuvor mit Doom implodiert und sämtliche Firmen versuchten seitdem jeden Entwickler aufzusaugen, der halbwegs Ahnung von der Materie hatte. Somit stand Sensible Software vor der größten Herausforderung ihrer Firmengeschichte.
Die angedachte Vorgehensweise des Duos war es, zunächst Sensible Soccer in 3D auf der Playstation zu realisieren und dann mit der gewonnenen Erfahrung „Have a Nice Day“ sowie „Sex ’n‘ Drugs ’n‘ Rock ’n‘ Roll“ zu produzieren. Aber schon das Spiel, was ihnen am leichtesten hätte fallen sollen, bereitete ihnen enorme Schwierigkeiten. Plötzlich brauchten sie CGI Künstler für Animationen, mussten sich mit Motion-Capture für realistische Bewegungen beschäftigen und gleichzeitig den Sensible Stil für 3D adaptieren. Ihre 2D Spiele waren mit extrem wenigen Animations-Frames ausgekommen und nun nahm die Optik 90% der Entwicklung in Anspruch. Obwohl Sensible Soccer ’98 37 Monate in Produktion war, sahen die Spieler mit ihren übergroßen Köpfen in der Nahaufnahme absurd aus. Lediglich die extrem herausgezoomte Perspektive des normalen Spielfeldes erinnerte an die alten 2D Varianten. Aber sobald die typischen Replay-Kamerafahrten einsetzten, lachte sich jeder über das Spiel kaputt. Sensible Soccer ’98 konnte es ganz klar nicht mit Electronic Arts FIFA Soccer 98 aufnehmen.
„Have a Nice Day“ war eine weitere abgedrehte Idee des Duos, die das Management einer Vertriebsfirma mit einem Shooter kombinieren sollte. Der Spieler sollte in die Rolle eines Managers schlüpfen, der mit „Kollegen“ um die Gunst seines Chefs buhlte. Dazu trieb er zunächst seine Untergebenen mit Warnschüssen aus den Lehnen seines Rohlstuhls an und rüstete sie später mit Waffen aus, um Krieg gegen die anderen Abteilungen zu führen. Durch Beförderungen hätte sich der Spieler von Büro zu Büro und Stadt zu Stadt gearbeitet. Wie Super Mario 64 und Tomb Raider planten die Sensis eine Third-Person-Perspektive für Have a Nice Day. Aber Chris hatte extrem lange Probleme mit Wänden in Verbindung mit der Kameraführung.
Sex ’n‘ Drugs ’n‘ Rock ’n‘ Roll lässt sich am Besten als Leisure Suit Larry mit Eiern beschreiben. Das Adventure sollte damit beginnen, das Protagonist Nigel hinter der Bühne mit den Kollegen plauderte, ein paar Drogen einwarf, sich übergeben musste und dann auf der Bühne „Heavy Metal Hero“ spielte. Spätere Spielszenen sollte das typische Rock’n’Roll Leben widerspiegeln. Der Spieler konnte auf dem Flug zum nächsten Gig die heiße Stewardess auf der Flugzeugteillote vögeln, wurde von konkurrierenden Bands aufgemischt und durchlebte einen Drogentrip nach dem anderen. Natürlich hätte das 3D Adventure ebenso einen Puff eingeschlossen, der keinerlei spielerische Relevanz gehabt hätte. Anfang 1997 war Sex ’n‘ Drugs ’n‘ Rock ’n‘ Roll zu 60% fertig. Ein Prozentsatz, der hauptsächlich durch die fertige Story und einige Grafiken zu Stande kam, denn die Programmierung lief weiterhin nicht rund. Zu dem Zeitpunkt hatte Sensible Software bereits zweieinhalb Millionen Pfund für die Entwicklung der drei Spiele verbraucht und noch nichts abgeliefert. Ein paar Monate zuvor hatte GT Interactive Warner Brothers Interactive Europe aufgekauft und im Gegensatz zu ihrem bisherigen Geldgeber, zahlte GT nicht mehr, ohne Ergebnisse zu sehen. Sensible Software musste die Entwicklung der drei Titel die nächsten Monate von den Einnahmen ihrer bisherigen Spiele bestreiten. Denn sie waren weiterhin an den Vertrag gebunden und hatten nun Meilensteine vorweisen. Ein halbes Jahr später, im Januar 1998, rief GT Interactive das Duo zu einem Meeting, in dem sie verkündeten, die Entwicklung von Sex ’n‘ Drugs ’n‘ Rock ’n‘ Roll sowie Have a Nice Day einzustellen. Dem Publisher schienen die 18+ Titel eine zu riskante Investition. Jon und Chris taten so, als wären sie enttäuscht, aber in Wirklichkeit fiel ihnen ein Stein vom Herzen. Die auf Sensible Soccer 98 aufbauende Sensible Soccer European Club Edition wurde das letzte Spiel, was Sensible Software auslieferte.
Chris und Jon verkauften sämtliches Equipment und schlossen das Büro im Oktober 1998. Der ursprüngliche Warner Brothers Deal hatte ihr Vermögen um ca. 200.000 Pfund pro Kopf gesteigert. Ein Bruchteil der SWOS Einnahmen. Sie verkauften den Namen Sensible Software samt sämtlichen IPs an Codemasters, die den Cannon Fodder Franchise im Jahr 2000 auf dem Game Boy Color und später mit Cannon Fodder 3 auf dem PC fortsetzten. Codemasters Sensible Soccer 2006 für die Playstation 2 ging mit 60% Wertungen unter, aber das 2007 auf der Xbox erschienene Sensible World of Soccer knüpfte mit einem 81 Punkte Meta-Critic-Raiting zumindest ansatzweise an frühere Erfolge an.
Einzelnachweise:
- The Jon Hare Marathon – Sensible Software, Sensible Soccer, Wizball, Parallax
- Sensible Software with Stoo Cambridge – The Retro Hour EP92
- WDGP interviews: Stoo Cambridge (Sensible Software)
- Sensible Software 1986 – 1999 von Gary Penn
- Runestone – 1985 Firebird
- Student network for aspiring games developers aims to harness UK talent
- Interview with Jon Hare – C64.com
- Martin Galway – In Medias Res
- Touchstone – Games that weren’t
- Matt Chat 105: Jon Hare on the Endumbening of Videogamers
- Matt Chat 106: Jon Hare on Generation Fail
- Matt Chat 107: Sensible Software with Jon Hare
- Matt Chat 108: Cannon Fodder and Mega-Lo-Mania with Jon Hare
- Matt Chat 109: Sex ’n‘ Drugs ’n‘ Rock ’n‘ Roll with Jon Hare
- The Making of Sensible Soccer